Der Endzeitoper erster Teil

Saviour Machine - Legend Part I

Achtung: Wer an dieser Stelle auf eine objektive Rezension dieser CD hofft, wird vielleicht enttäuscht werden, schließlich ist Legend Part I das Album, das mich zum absoluten Saviour-Machine-Freak werden ließ. Hatte ich mir doch schon einmal - oder gar mehrmals - vor geraumer Zeit überlegt, dass es doch mal eine gewaltig angelegte, zeitgemäße und kompromisslos bibeltreue Vertonung der Offenbarung des Johannes, des Buches, das mich als frisch bekehrten Christen am stärksten faszinierte, geben sollte. (Ich glaube, meine Bibel enthält noch heute mit zögernder Bleistiftmine gezogene Linien zur Einteilung des Textes in mögliche musikalische Abschnitte oder Lieder...)

Als ich dann einige Jahre darauf als verwirrter Teenager die dünnen Seiten des PILA-Magazins durchblätterte, blieben meine Augen an einer Beschreibung kleben, der ich nicht widerstehen konnte... Die Apokalypse, jüngst vertont von einer amerikanischen Gothic- bzw. "Epic Metal"-Band! Natürlich bestellte ich sofort die CD, um sie mir fortan fast täglich einzuverleiben.

Das "Album meiner Träume", wie ich es damals vielleicht hätte nennen können, hielt auch tatsächlich meinen Erwartungen stand - und übertraf diese bei weitem. Innerhalb der nächsten Monate lernte ich beiläufig alle Texte auswendig und besorgte mir alles, was es sich von Saviour Machine nur zu besorgen gab (bisher hatte ich die Werke der Band eher flüchtig zur Kenntnis genommen, jetzt war ich davon begeistert!). Jetzt blieben mir nur noch zwei Hoffnungen, die bis heute noch nicht erfüllt worden sind: 1. Ich durfte nicht sterben, ohne das Ende der Legend-Trilogie miterlebt zu haben (ursprünglichen Plänen zufolge hätte das Ganze übrigens noch vor 2000 (!) fertiggestellt werden sollen), und 2. Ich musste meinen Namen in "Eric Clayton" umändern lassen. (Okay, war nur ein Scherz!)

Wie oben schon angedeutet, übertraf Legend Part I meine kühnsten Erwartungen und zeigte sich mit einer Tiefe und einer Komplexität, die ich so nicht vermutet hätte - und die durch die nachfolgenden Teile der Trilogie noch komplementiert werden würde. So befasst sich die Trilogie gar nicht ausschließlich mit der Offenbarung, sondern stellt vielmehr einen "Soundtrack zum Ende der Welt" aus biblischer Sicht dar, und zwar unter (teils impliziter) Einbeziehung sämtlicher biblischer Prophetie - nach einer Schätzung Eric Claytons etwa 20% der gesamten Bibel. (Dass eine einzige 80-minütige CD hier nicht ausreicht, erscheint mehr als einleuchtend.) Die oftmals schwer verständlich erscheinenden Visionen der einzelnen Propheten werden allerdings nicht der Reihe nach "abgehakt"; vielmehr wird die Geschichte mehr oder minder chronologisch erzählt und an passenden Stellen auf die verschiedenen bibelprophetischen Bilder und Visionen eingegangen.

So beginnt der erste Teil etwa - nach einer eindrucksvollen (obwohl lediglich auf Keyboards gespielten) Ouvertüre, in der viele verschiedene Melodien, deren Bedeutungen natürlich erst im Verlauf der Trilogie offenkundig werden, ineinander überzugehen scheinen - mit einem kryptischen Text namens "A Prophecy", den Eric, oder besser gesagt: der Erzähler, begleitet von Sprachsamples, Pauken und den für "Endzeitstimmung" obligatorischen Glockenschlägen, mit seiner tiefen Stimme in dialektlosem Englisch vorträgt, wobei der Text selber wie eine Synthese aus Bildern aus den ersten Kapiteln der Offenbarung, dem "Vaterunser" und eigens kreierter Bildhaftigkeit klingt. Doch eins wird klar: Hinter allem verbirgt sich eine Sehnsucht nach der bevorstehenden Wiederkunft Christi.

Es folgen das einminütige Chorstück "I Am" - dessen Melodie sich im Verlauf der Trilogie als Christus-Thema entpuppen wird - und "Legend I:I / The Lamb", die Selbstoffenbarung Christi (vgl. Offenbarung 1) als ultimativer Protagonist der Trilogie, wobei Saviour Machine hier erstmals in voller Besetzung zu hören sind, wobei das Klavier jedoch dominiert. Erst ab Track 6 beginnt die eigentliche Geschichte mit einem Stück, das musikalisch in orientalisch angehauchter Düsterkeit daherkommt (Assoziationen mit dem Anfang von "The Stand" werden wach) und inhaltlich auf dem so berühmten wie bildhaften Shakespeare-Zitat "All the world's a stage" basiert: Die ganze Welt ist eine Bühne, und die Menschheit führt ein Stück auf, dessen Ende vorherbestimmt ist... gegen Ende des Stückes entfaltet sich der volle Saviour-Machine-Sound mit Schlagzeug, Rhythmusgitarre, Bass, Keyboards und als SM-Markenzeichen schlechthin natürlich die über alles thronende, Gänsehaut hervorrufende Gesangsstimme von Eric Clayton. Das Stück "The Birth Pangs" geht inhaltlich weiter auf die gegenwärtige Situation der Menschheit ein, wobei es den Hörer, von aggressiven Rhythmusgitarren und den bereits erwähnten Endzeitglocken getragen, mit einem wichtigen musikalischen Baustein der Trilogie vertraut macht: dem "Apocalypse"-Thema. Durch den Chor wird das Ende des Stückes - wie an vielen anderen Stellen auch - effektiv durch den Einsatz des Würzburger Chors Ensemble Cantabile abgerundet.

In "The Woman" dominieren wieder ein melancholischer Flügel und Erics wundervolle Stimme, die gemeinsam vom Leiden des Volkes Israel erzählen, auch einer der Hauptfiguren der Trilogie. Das folgende Stück, "The Night", wirkt (ähnlich wie damals "A World Alone") wie eine emotional gefärbte Momentaufnahme einer geistlich blinden Welt ("Nowhere to run, no place to hide / We cannot escape the night") und stellt gleichzeitig eine Art "Ruhe vor dem Sturm" dar, denn in den nächsten paar Stücken geht es um prop hetische Ankündigungen von endzeitlichen Auseinandersetzungen und Schlachten im Nahen Osten (vornehmlich den Büchern Daniel und Ezechiel entnommen), die in die Aussage "Behold, it is done / The final conflict has begun" münden - überflüssig zu erwähnen, dass in diesen Stücken die Metaleinflüsse im Vordergrund stehen. Das allerdings, ohne dass die Musik etwas von ihrem theatralischen Pathos oder ihrer atmosphärischen Dichte einbüßen müsste.

Gegen Ende von Legend Part I geschieht etwas für die gesamte Trilogie sehr Ausschlaggebendes: Zehn nicht genauer benannte Nationen schließen sich zu einer Weltmacht zusammen, an deren Spitze letztlich der so genannte "Antichrist" stehen wird. Dieser tritt am Schluss des Albums auf und kündigt mit "Legend I:II / The Beast" sein Vorhaben an, die "Bühne" der Welt für sich zu erobern. Dass "Legend I:II", nebenbei bemerkt, dieselbe Melodie hat wie "Legend I:I" (die Selbstoffenbarung Christi), illustriert bzw. verstärkt dabei den Eindruck, dass der Antichrist sich selbst gewissermaßen als Messias und letztlich als Gott behauptet. In dem letzten Stück, "Antichrist I", wird dem Hörer noch das Antichrist-Thema "eingehämmert", während die besagte Figur in Form eines inneren Monologes Vorausdeutungen auf den Inhalt der weiteren Teile der "Legend"-Trilogie macht und mit den ominösen Worten "Behold, time is legend / And history is the time / This hour is mine" den ersten Teil abschließt. Es bleibt also spannend..

Insgesamt handelt es sich bei Legend Part I um den perfekten Auftakt zu einer gigantischen, langatmigen, apokalyptischen, von tiefer Tragik, aber auch glorioser Hoffnung geprägten Oper über das Ende der Welt. Musikalisch ist der erste Teil bis dato der ausgeglichenste - von ruhigen Klavierpassagen bis zu aggressiven E-Gitarren-Riffs ist alles vertreten -, doch verteilt sich das alles ziemlich gut auf fast 80 Minuten, so dass beim Hören nie der Eindruck von Hektik aufkommt. Ganz im Gegensatz zu den folgenden Tei len...

Patrick Maiwald, 1. 7. 2003


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