Das Schweigen ist vorüber

Sanctum - Let's Eat

"...breaking down the wall of silence..." - Während ich die ersten Zeilen des ersten Stückes von Let's Eat vernehme, wird mir bewusst, wieviel Zeit bereits seit dem letzten Sanctum-Studioalbum vergangen ist: Nach satten acht Jahren ist es wirklich höchste Zeit, das Schweigen zu brechen. Der Eine oder Andere wird schon gespannt auf das Büffet sein, zu dem die Herren mit ihrem neuen Album einladen...

Klappt man den schönen Digipak (auf 2000 Stück limitiert) auf, wird man zunächst von einer lustig bunten und appetitanregenden Fotokollage zum Thema "Essen" begrüßt (und dann ist die CD auch noch bei Cold Meat erschienen)... Legt man dann endlich die CD auf den Teller bzw. in den Player, wird man jedoch, sofern man mit Sanctums bisherigem Wirken vertraut ist, vielleicht überrascht sein. Denn Let's Eat ist ganz anders als beispielsweise Lupus in Fabula.

Im Prinzip entspricht der Aufbau dieser CD dem eines typischen x-beliebigen Rockalbums: Zehn Stücke, eins nach dem anderen, alle etwa gleich lang (4-5 Minuten), alle vom Klang her relativ ähnlich. Keine Überleitungen mehr, keine ätherischen "Juniper Dreams"-Anklänge mehr, keine bombastisch-orchestralen Parts mehr, und vor allem: bis auf ein einziges Stück auch keine weibliche Stimme mehr.

Und doch sind die Grundzüge von Sanctums Musik noch deutlich erkennbar - immer noch geht es um die Vereinigung von Schönheit und Aggression, von Harmonie und Dissonanz. Dabei bedienen sich die Soundbastler um Jan Carleklev vornehmlich Industrial- und Electronica-Klängen (etwa im Mischverhältnis 1:1) und fügen diesen oftmals filigrane, teils sogar "echte" Melodieinstrumente hinzu - vom altbewährten Piano über die typischen mehrstimmigen "Streicher"-Synths bis hin zu Orgel und Glockenspiel. Dabei steht im Gegensatz zu früher eindeutig der Rhythmus im Vordergrund - es wird viel gehämmert, geschlagen, gescheppert, und das nicht schlecht. Einige Stücke - etwa "Lie Low" - strotzen so vor rhythmusgesteuerter brachialer Gewalt, dass einem die "melodischen Stellen" fast unwirklich vorkommen. Andere Stücke sind eingängiger, wie z.B. das geniale "Shine", das in allen dunklen Tanzschuppen gespielt werden sollte. Stellenweise fühle ich mich allerdings mehr an die Mago-CD (z.B. beim Stück "Sister") oder auch an Azure Skies' Stück "Bring Nothing Back" erinnert als an Sanctum. Die schon von früheren Werken bekannte männliche Stimme variiert in der Regel wenig - es kommen lediglich mehr Hintergrundstimmen (manchmal ganze Sprechchöre) hinzu, und teilweise ist auch halb gesungener, halb gegrölter Singsang zu hören, an den man sich erst einmal gewöhnen muss... Der Ausstieg von Lena R. hat deutliche Spuren hinterlassen.

Einzig bei "A Pose" brilliert die Gastsängerin Sara-Lo av Ekstam, nur leider viel zu kurz. Wirklich schade, denn ihr sehr eigener Gesangsstil gibt dem ohnehin schönen Stück nochmal einen Extratouch und macht Lust auf mehr. Rein qualitativ könnte sie es jedenfalls mit Lena aufnehmen.

Trotz der interessanten Aufmachung bleibt zu vermerken, dass ein paar Texte im Cover keine schlechte Idee gewesen wären, zumal man bei den aggressiveren Stücken wirklich so gut wie kein Wort versteht.

Wer Sanctum bisher allein aufgrund der weiblichen Stimme schätzte, wird es sich vielleicht besser zweimal überlegen wollen, sich dieses Album anzueignen. Trotzdem sei jedem, der mit rhythmusbetonter, industriallastiger, und doch höchst melodieträchtiger Musik etwas anzufangen können glaubt, dieser Gaumenschmaus hiermit wärmstens empfohlen. Guten Appetit.

Patrick Maiwald, 29. 06. 2004


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=> Parca Pace (s/t) (Rezension)
=> Parca Pace - Raumspannung (Rezension)

=> Interview mit Jan Carleklev (Januar 2004)