Ungehörte Klangräume mit Industriegebiet-Romantik

Parca Pace - <i>Raumspannung</i> Vor einiger Zeit brachte das Kult-Industriallabel Cold Meat Industry die mittlerweile 140. CD heraus: Raumspannung von Parca Pace, dem Soloprojekt des Sanctum-Gründers Jan Carleklev - in einer sehr schönen Digipak-Aufmachung und weltweit auf 1000 Stück begrenzt.

Unter den bekanntlich vielen Soloprojekten in den Bereichen Industrial und Experimental ist Parca Pace ein echtes Unikat geblieben. Bisher hat es nur zwei Tracks vom Projekt gegeben: Der erste davon war ein fünfzigminütiger Soundtrack zu einer Kustausstellung - dieser bildete dann 1999 das Debütalbum -, und der zweite einige Zeit später das eineinhalbminütige Intro zum Endtime-Sampler In the Shadow of Death. Jetzt meldet sich das exzentrische Ein-Mann-Projekt mit neuem Material zurück, und die zugehörige Ausstellung sei diesmal, so der offizielle Werbetext, das Leben selber.

Zumindest eine Regel scheint Carleklev nun, sechs Jahre nach dem Debut, aber doch zu brechen: Auf Raumspannung finden sich neun Tracks mittlerer Länge, bei einer Gesamtspielzeit von etwa einer Dreiviertelstunde. Ansonsten aber ist der ambitionierte Soundtüftler seinen Maßstäben relativ treu geblieben: Raumspannung schlägt - vielleicht besser und zeitgemäßer als je zuvor - die Brücke zwischen harschem, zumeist rhythmisch angeordnetem Industrielärm und filigraner, teils auch bombastischer, Schönheit, bei der man wohl schon von (synthetischer) Neoklassik sprechen kann. Der extreme Minimalismus des Erstlings ist größerer Abwechslung, ausgefeilteren Arrangements und einem insgesamt besseren Sound gewichen. Eine gute Entscheidung, wie ich finde, denn auch Raumspannung ist ein künstlerisch wertvolles Klangwerk geworden.

Schon die ersten Töne des "orchestralen" Intros "Replaceland" erinnern an den Soundtrack zu einem monumentalen Film. Nach etwa einer Minute setzt ein stetiger, langsamer Rhythmus ein, auf dem sich eine unter die Haut gehende Harmoniefolge aufbaut. Gekonnt stimmt Carleklev die vielschichtigen Keyboardmelodien aufeinander ab und baut dabei hier und da etwas Rückkopplung, Verzerrung oder subtile Hintergrundsamples ein, als hätte er sein Leben lang nichts Anderes getan. Fast jedes der neun Stücke kontrastiert auf eine neue Weise Industrialelemente mit wunderschön melodischen Keyboardpassagen, wobei Carleklev die Grenzen durch immer neue Inspirationen stetig vor sich herzuschieben versteht. "Walls" beispielsweise überzeugt mit einer brachialen Krachwand, die in eine wunderschön hallende, emotionale Piano-/Keyboard-Passage übergeht... Apocalyptica meets Einstürzende Neubauten, oder so. Wer dachte, Sanctums Let's Eat wäre in musikalischer Hinsicht nicht mehr zu überbieten gewesen, hat dieses Werk noch nicht gehört...

Auf Gesang wird hier - wie für Parca Pace üblich - verzichtet, was Raumspannung aber keineswegs bedeutungslos macht. Vielmehr dreht sich das Konzept um das Leben in Räumen, oder besser gesagt: zwischen Wänden. Das Booklet enthält zu jedem Stück Fotografien mit Erklärungen, und zu einigen sogar noch Texte. Der Text zu "Urban Consequences" etwa ist eine pessimistische Abhandlung über die Einsamkeit und Isolation, die das Großstadtleben mit sich bringt, und die auch musikalisch sehr schön eingefangen wird; "Grenzland" hingegen ist - passend zu einer Fotografie vom Potsdamer Platz kurz nach der Wende - ein deutschsprachiger Text über ungeliebte Wände, der sogar (vermutlich von Mago-Mitglied Stephanie Euler) auf der CD vorgelesen wird: "Wären die Wände nicht so strahlend weiß und sauber, könnte man ihre Schwärze sehen..." Der Text von "Longing to Return" ist sowohl im Booklet als auch auf der CD zerhackstückelt worden, so dass man an einigen Stellen denken könnte, die CD würde "hängen". Ähnliches passiert dann auch in der Musik zu dem Stück... "Enter Now" bildet mit seinen epischen anmutenden Bombast-Passagen und der völlig wandlosen Abbildung den würdigen Abschluss eines wirklich gut gelungenen Albums.

Mein Fazit: Die perfekte Verschmelzung von Industrial und Neoklassik, die nach 45 Minuten schon viel zu schnell vorbei zu sein scheint... Für Liebhaber dieser und ähnlicher Genres unbedingt empfehlenswert!

Von der unten angegebenen Homepage von Crescens Collective lassen sich drei Stücke im MP3-Format runterladen.

Patrick Maiwald, 04. 10. 2005


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=> Crescens Collective (Homepage)

=> Parca Pace (s/t) (Rezension)
=> The November Commandment - A Motorised Mind (Rezension)
=> Sanctum - Lupus in Fabula (Rezension)
=> Sanctum - New York City Bluster (Rezension)
=> Sanctum - Let's Eat (Rezension)

=> Interview mit Jan Carleklev (Januar 2004)