Ein emotionales Wechselbad bei Kerzenschein

Virgin Black - Sombre Romantic Es war ein ruhiger, gemütlicher Abend bei einem meiner Freunde, an dem ich mit dieser CD zum ersten Male konfrontiert wurde. Sofort konnte ich mich damit idenifizieren, so eingängig waren die einzelnen Stücke. Beim Hören konnte man sich fast in der Musik verlieren...

Die Metal-Band (und natürlich deren Silberling), um die es mir heute geht, heißt Virgin Black. Da sie aber nur in eher kleineren Kreisen ihre Beliebtheit genießt, will ich vorerst zu der Band an sich ein paar Worte verlieren. Anders als erwartet kommt diese Band nicht aus Deutschland oder dem für düsteren Metal bekannten Skandinavien - nein, Virgin Black kommen aus 'down under' - Australien. Das Quintett um den Sänger und Keyboarder Rowan London und Gitarristin und Songwriterin Samantha Escarbe gründete sich 1995 in Adelaide. Ihre Debüt feierten sie 1996 mit einem Samplerbeitrag auf Falling on Deaf Ears. Bereits 1998 erlebte die Band mit ihrer in diesem Jahre erschienen EP Trance einige Erfolge, die immerhin schon Support-Shows für Paradise Lost, Cathedral und Entombed ermöglichten. Im Juni 2001 brachte Virgin Black das Album Sombre Romantic vor und präsentiert damit ihren ersten Longplayer, der auch eigentlicher Inhalt dieses Berichts ist.

Den Terminus "Metal" sollte man in Verbindung mit diesem Album aber mit Vorsicht genießen, denn er wird nicht dem gerecht was Virgin Black aus ihrer doppelten Gitarrenfraktion herrausholen. Schon der Cello-Streicher auf dem Cover der CD verweist darauf, daß in Sombre Romantic auch klassische Elemente Einzug halten und dem ganzen einen teilweise düsteren gotischen phasenweise sehr orchestralen Anklang verleihen. Rowans meist pathetisch-flächiger Gesang trägt dazu gut bei - ist aber gewöhnungsbedürftig, da er etwas wehklagend klingt, was normalerweise nicht so mein Fall ist. Samantha steuert hierzu einen bittersüßen Mix aus Doom-Harmonien bei. Fast schon als Novum für Gothic-Bands könnte man es bezeichen, das sie vollständig die Finger von jeglichem Gesangsmikro läßt und sich auf ihre Gitarre konzentriert. Klanglich könnte man die CD fast in die Reihen von Saviour Machine oder My Dying Bride einordnen, wenn nicht diese sagenhafte Varietät enthalten wäre, die durch Keyboard und E-Beats geliefert werden, die das Werk insgesamt so unkategorisierbar machen.

Um die Texte Virgin Black ging es in einem Inteview von powermetal.de:
"Andreas: Eure Texte scheinen von einem verlorenen Glauben in Gott und Jesus zu sprechen. Würdet ihr euch als eine christlich beeinflusste Band definieren, die ihren verlorenen Gott sucht? Können wir einen Einblick in euer philosophisches Verständnis der Welt bekommen?
Rowan: Deine Annahmen sind in der Tat sehr zutreffend. Gott ist "verloren" für die Menschheit, da oftmals die religiösen Menschen, die am meisten reden, das Wenigste verstehen. jemand, der Gott wahrhaft erkennt, weiss, dass es eine Tragödie ist, jemandes Individualität auszulöschen. Die Mehrheit des religiösen Handelns scheint darum zentriert zu sein, Menschen in eine Form zu pressen; das erschafft für gewöhnlich zwei Arten von Menschen: Jene, die davon gefangen gesetzt werden und und viel von ihrer Identität verlieren und jene, die dagegen rebellieren und unglücklicherweise oftmals eine falsche Identität entwickeln. Ich denke, der Schlüssel dazu ist es, dies abzulehnen, ohne lediglich dagegen zu rebellieren. Ich habe einen Glauben in Gott, der der Heuchelei und Fehldarstellung, die oftmals mit Gott einhergehen, keine Beachtung schenkt. Ich denke, die Lektionen, die Gott uns lehren würde, wären Waffen gegen den Schmerz, nicht Waffen, um Schmerz zu erschaffen."

(Das vollständige Interview gibt's hier)

Es wird klar, das sich Virgin Black von der grauen Masse deutlich abhebt, und qualitativ hochwertige Inhalte zu bieten hat, die auch Untergrundchristen und denen die nicht immer diese stupiden Phrasen in den Ohren haben wollen, etwas zu bieten hat. Oder wie besagter Freund von dem ich die CD bekam so schön meinte: "Ich gebe nur unbedenkliche Sachen raus."

Nun aber endlich zum Werk - Sombre Romatic...

Der Opener des gut 44-minütigen Longplayers wird durch die zweiteilige sakrale "Opera de Romanci" gestellt. Sie setzt sich zusammen aus "Stare" und "Embrace". Die ausladende orchestrale Intro besticht durch gregorianische Chöre und schwere Streicher, so dass ich mir schon fast vorkomme wie im Phantom der Oper. Dieser erste Track bereitet gut vor auf das, was mich demnächst erwarten wird, und geht fast übergangslos in den zweiten Teil über.

Dem zweiten Teil, "Embrace", wurde durch Gitarrenriffs und Chöre mehr Druck verliehen; ein schwerer Gitarrenteppich und filigrane erste Sologesänge legen sich über die Arrangements.

Beim ersten Hören realisiert man fast gar nicht, wie schnell man schon im dritten Track "Walk without Limbs" steckt, da dieses thematisch mit den ersten beiden Stücken verwoben ist. Wer darauf ungeduldig gewartet hat wird hier endlich befriedigt. In einem komplexen Arrangement, untermalt von vielleicht genre-atypischen dumpfen E-Beats und Klavier setzt hier ein klassisches Gitarrengewitter mit schweren doomigen Grooves ein und begleitet den an Black Metal angelehnten kreischenden Gesang, so dass auch dem letzten Zweifler ein Mitnicken abgerungen wird.

"Of your Beauty" ist dann eine der sehr schönen ruhigen Balladen und bietet nun erneut einen Pol der Ruhe. Ein zunächst verhaltenes Klavier zieht mit Rowans opernhaften Gesangspart mit hinein in eine fortwährende Steigerung, in die im weiteren Verlauf noch eine Leadgitarre einspielt und zum fast exzessiven Höhepunkt führt. Doch auch hier greift ein Stück in das andere über und spielt Wegbereiter.

"Drink the Midnight Hymn" geht zwar konsequent den begonnen Weg weiter, ist aber deutlich metallastiger. Es überzeugt durch nun Grunts à la Death Metal gepaart mit den üblichen schweren Gitarren und treibendem Schlagzeug. Zusätzlich erhält das Stück seine Spannung durch orchestrale und chorale Gesangseinlagen als Kontrapart und Gitarrensoli.

Mit "Museum Of Iscariot" wird nun ein reichlich sieben minütiger Kleinepos in drei Teilen ("Stagnation", "Death" und "Procession") gestellt, der an Abwechslungsreichtum und Emotionalität kaum zu übertreffen ist. Eröffnet durch warme Celli beginnt ein Sologesang in Wechsel mit einer Sologitarre, der dann zu einem ausgewogenen ruhigen Zusammenspiel der gesamten Band ausführt. Es gelingt Virgin Black eindrucksvoll, im Zusammenspiel eine gute Spannung aufzubauen und diese dann wieder ruhig auslaufen zu lassen.

In Folge bietet "Lamenting Kiss" einen ruhigen Ausklang der Geschichte über Judas Iscariot in einer herrlich dunklen Stimmung, die durch spärliches Klavierspiel, einen klaren Grundschlag des Schlagzeugs und wiedereinmal choralen Gesang erzeugt wird, ohne es sich nehmen zu lassen, diese immer wieder durch Rowans Gesang und teilweise Grunts mit Gitarrenbegleitung aufzulockern.

Ein rein instrumentales knappes Interludium präsentiert sich nun mit dem rein durch Gitarren bestimmten "Weep for Me". Doch auch bei diesem kurzen Wegbereiter hat man sich an Einfallsreichtum nicht lumpen lassen. (man achte auf die fallende Quarte...)

Wie die Ruhe vor dem Sturm steht der Sologesang Rowans am Anfang da und will kaum vermuten lassen, daß Virgin Black noch einmal alle Register ziehen und mit "I Sleep with the Emperor" zum letzten Ansturm auffahren. Doch auch hier läßt man es sich nicht nehmen, gegen das von dreschenden Gitarrenriffs begleitete Black-Metal-Gekreische abrupte Breaks und ruhige Choräle zu setzen, um eine mystisch dunkle Atmosphäre zu wahren.

Der Hörer wird hier nicht einfach aufgewühlt fallen gelassen, sondern kann mit "A Poet's Tears of Porcelain" wieder langsam zur Ruhe kommen. Dieses letzte Stück bereitet das Ende fast gänzlich getragen durch das warme Celli und Rowans Gesang. Es bricht ein Gitarrensolo ein, was die Band noch einmal einzuladen erscheint, zum Abschied aufzuklingen, und eine prächtige glamouröse Fülle der gesamten Breite aus Gitarre, Streicher, Klavier, Choral und Gesang bäumt sich ein letztes mal auf, um sich schon nach kurzer Präsenz fast bildlich vor dem Publikum zu verneigen. Es klingen noch ein paar ruhige Takte des Klaviers aus, bis der geneigte Hörer in Stille zurückgelassen wird.

An dieser Stelle bin ich immer geneigt, die CD sofort wieder anzuwerfen, so schnell vergeht mir die Zeit, und ich will wieder eintauchen in dieses Wechselbad der Gefühle. Dieser Abwechslungsreichtum mag beim ersten Hören überfordern, doch macht er letztendlich den Reiz dieser CD aus. Insgesamt ist diese Platte dank der Songstrukturen sehr ruhig und zeitaufwendig - nichts zum "eben reinhören" - eher ein hervorragender Füller für stimmungsgeladene Abende bei Kerzenschein. Man sollte sich schon eine geeignete Lautstärke gönnen und Muße mitbringen, um dieses Prachtstück in vollen Zügen zu genießen, wenn man sie in ihrer ganzen Pracht miterleben will.

Am Gesang von Rowan Londons scheiden sich die Geister, denn sie ist bestimmt nicht jedermanns Sache - auch ich brauchte einige Zeit, mich daran zu gewöhnen. Hier wird es bestimmt auch diesen oder jenen geben, der verhalten abwinkt, dem Sombre Romantic zu vertrackt und zu wenig eingängig erscheint. Und letzten Endes halte ich es auch schon für sehr mutig in einer Zeit, in der ja fast jede Band nur die Verkaufszahlen im Auge hat und die Charttauglichkeit anvisiert, mit einem so komplexen, konzeptbeladenen Debüt aufzuwarten. Es überwiegen die dunklen Elemente - dies ist auch der Grund, warum es in der Metalecke wohl weniger Freude finden wird - doch für die Schwarzkittelfraktion bietet sie eine wahre Perle des Gothic-Metal, und durch den ständigen Wechsel innerhalb der Stücke als auch im Verlaufe ist diese CD Garant für kurze Weile.

Bei einem solchen durchkonzipierten Album fällt es mir äußerst schwer, einige Anspieltipps zu nennen, die zudem auch noch das klangliche Spektrum wiedergeben können. Wie gesagt - etwas Zeit sollte man schon mitbringen um das Album komplett genießen zu können. Wer jetzt in sich diese kleine Stimme hört, die lauthals danach schreit, die Sombre Romantic endlich in die Finger zu bekommen, der sei vorgewarnt, die Beschaffung stellt sich als etwas umständlich heraus. Auf der bandeigenen Homepage wird zwar auf das Label Massacre Records verwiesen, das für den Vertrieb in Europa zuständig ist - doch auf deren HP ist davon nichts zu finden. Es bedarf da schon einiger Anstrengungen, bis man diesen Silberling sein Eigen nennen darf - doch die Suche wird sich lohnen - und zu guter letzt wird man dann erfahren: Australier können mehr als nur Didgeridoo...

Mathias Reiche, 18. 02. 2002


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=> Virgin Black (Homepage)

=> Virgin Black - Elegant... and Dying (Rezension)
=> Virgin Black - Requiem - mezzo forte (Rezension)
=> Virgin Black - Requiem - fortissimo (Rezension)

=> Interview mit Samantha Escarbe (Oktober 2001)