Es fällt nicht leicht, Worte zu finden zu einem Werk, welches eigentlich zum Schweigen auffordert.
Vier Jahre sind vegangen, in denen Virgin Black alles andere als untätig waren - jetzt wird das Gesamtkunstwerk Requiem nach und nach veröffentlicht; wie sich bereits herumgesprochen haben sollte, handelt es sich bei Requiem - mezzo forte um den einzigen Teil, auf dem sowohl die Band als auch das Adelaide Symphony Orchestra zu hören sind; den Teil, der letztlich die "Extreme" pianissimo und fortissimo miteinander verbinden soll.
Soviel zu den Formalien. Emotional betrachtet ist dieses Opus ein Monument feierlicher Trübseligkeit. Das traurig stimmende Orchester, der dramatische Chor, die mal weinenden, mal stürmischen Gitarren und über allem der Gesang von Susan Johnson (Sopran) und Rowan London (Tenor) vereinen sich zu einem zu Tränen rührenden Gesamtwerk, dessen Titel hält, was er verspricht, denn textlich geht es um den Tod. Elemente des klassischen Requiem - die Erinnerung an die Verstorbenen, das verzweifelte Gebet an Gott den Tröster, der Verweis auf das Jüngste Gericht - spielen alle eine Rolle, aber auch die lateinischen Übersetzungen im Booklet sowie einige Zitate aus dem lateinischen Text des gregorianischen Requiems lassen nicht den Verdacht aufkommen, dass das Requiem gar keine stoffliche Originalität enthielte: Gerade das ergreifende "In Death" etwa beklagt den Tod in ehrlichen eigenen Worten - welche durch die Meldung, dass Rowan zur Zeit der Aufnahmen seinen Vater verloren hat, noch an tiefer Bedeutsamkeit gewinnen.
Haben die Australier mit Stücken wie "Opera de Romanci" oder "The Everlasting" bereits bewiesen, dass sie zur Erschaffung unglaublich düsterer und atmosphärisch dichter Metal/Klassik-Kompositionen in der Lage sind, so scheint die Zusammenarbeit mit dem Adelaide Symphony Orchestra und dem Adelaide Stamford Academy Choir mehr als natürlich. Der Klang des Ganzen lässt sich aber nur bedingt mit den "klassischen" Arrangements auf den anderen Alben vergleichen - hier entsteht ein weitaus homogenerer, "gediegenerer" Eindruck. Das in sich schlüssige Konzept vereint sieben Sätze unterschiedlicher Länge - die meisten davon knapp unter der 10-Minuten-Grenze -, die musikalisch (wie auch inhaltlich) miteinander verwoben sind - einzelne Textpassagen, musikalische Themen und Motive wiederholen sich oder nehmen Bezug aufeinander. Auch Rückbezüge auf ältere CDs fallen auf - besonders bei dem Stück "Midnight's Hymn", hinter welchem sich größtenteils eine Neufassung von "Drink the Midnight Hymn" (vom Album Sombre Romantic) verbirgt. Trotz dieser Anspielungen darf man jedoch von Requiem - mezzo forte kein typisches Virgin-Black-Album erwarten: Minutenlange Gitarrensoli machen sich rar, von Elektronik-Experimenten fehlt jede Spur und auch reine Piano-/Gesangssequenzen à la "...Of Your Beauty" fehlen gänzlich. Überhaupt steht Rowan London nicht so sehr im Vordergrund wie auf den bisherigen Alben, allein schon weil viele Gesangsparts von der Sopranistin, dem Chor oder auch dem spärlich aber gezielt eingesetzten "Death-Choir" übernommen werden (Letzterer ist eine Virgin-Black-Erfindung: Man stelle sich death-metallige "Grunz"-Vocals unisono aus sechs Kehlen vor). Interessant ist, dass die Musik auch motivische Anspielungen auf das gregorianische Requiem, genauer gesagt auf den "Dies Irae"-Hymnus, enthält.
Generell ist im Verlauf der 52 traurigen Minuten, die das Album in Anspruch nimmt, ein Wandel von orchestral dominierten hin zu metal-lastigen Arrangements zu bemerken, die verstärkt an die "doomigen" Wurzeln der Band zurückdenken lassen, ohne jedoch dabei weniger bombastisch zu wirken (sicherlich soll hier die Brücke zu fortissimo geschlagen werden...). Interessanterweise sind es vielleicht gerade die Stücke wie "Domine", welches beinahe ohne das Orchester auskommt, die musikalisch am ehesten überzeugen. Doch wie schon angedeutet erscheint es fast verboten, einzelne Stücke des Werkes herauszugreifen und einzeln zu betrachten; das einzige Gegenbeispiel ist sicherlich das bereits erwähnte kürzere Stück "Midnight's Hymn", welches musikalisch und textlich mit dem Rest des Albums unverbunden ist.
Wirkliche Schwachpunkte hat das Album nicht - jeder Takt, jeder Melodiebogen, jeder Übergang, jede Reprise bereits bekannter Motive scheint auch nach vermehrtem Hören genau am richtigen Platz zu sein; das Gesamtbild ist das eines stimmigen, unglaublich ausgereiften und emotional schlichtweg ergreifenden Konzeptalbums. Ich bin seit Tagen und Wochen begeistert!
Es bleibt abzuwarten, wie die anderen Requiem-Installationen ausfallen werden. Nach dem Hören des Mittelstücks steigt die Zuversicht, dass und da noch Großartiges bevorsteht.
Massacre Records veröffentlicht das Album zusätzlich in einer limitierten Version mit der Bonus-Disc "Retrospective", auf der sich jeweils ein Titel aller bisherigen Virgin-Black-Scheiben befindet. Eine echte Rarität können diejenigen ihr Eigen nennen, die die CD kurz vor dem Veröffentlichungstermin im April 2007 beim Virgin-Black-Konzert in der Schweiz gekauft haben: Dank der wohl unglaublichsten Fehlpressung der Musikgeschichte sind bei 90 Exemplaren auf der Bonus-Disc deutschsprachige Kinderlieder zu hören...
Patrick Maiwald, 15. 05. 2007
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=> Virgin Black (Homepage)
=> Virgin Black - Sombre Romantic (Rezension)
=> Virgin Black - Elegant... and Dying (Rezension)
=> Virgin Black - Requiem - fortissimo (Rezension)
=> Interview mit Samantha Escarbe (Oktober 2001)