Wenn eine Band mit einem so talentierten Sänger wie Rowan London sich traut, eine CD (fast) ohne 'cleanen' Gesang zu veröffentlichen, muss man wohl von einem gewagten Experiment sprechen. Von einem Experiment, das in die Hose gehen wird, wenn die Band nicht ganz genau weiß, was sie da tut. Doch eine Band, die jahrelang spart und plant, um sich für einen Tag ein Orchester anmieten zu können, weiß offensichtlich ganz genau, was sie tut.
Diesen Eindruck jedenfalls bestätigt Requiem - fortissimo auf ganzer Linie. Doch zunächst zum Anfang des härtesten Teils der Totenmesse: Nach einem stürmischen Intro beginnt "The Fragile Breath" mit einer langsamen Tonfolge, die einem irgendwie bekannt vorkommt: In dem Stück "In Death" (auf Requiem - mezzo forte) spielen die Bassgeigen ein paar Töne, die lediglich als Überleitung dienen. "The Fragile Breath" greift diese nun heraus und baut sie zu einem majestätischen Gitarrenriff aus, das die stilistischen Weichen stellt: Requiem - fortissimo ist ein gitarrenlastiges Doom-Metal-Album erster Güte, dominiert von Rowans Death-Vocals sowie dem "Death Choir", jenem Chor von Death-Vokalisten, der hier mehr denn je zum Einsatz kommt, und gelegentlichen Klagesopran-Einschüben von Susan Johnson.
Dem Adelaide Symphony Orchestra sowie dem Adelaide Stamford Academy Choir kommen eher marginale (und trotzdem nicht unwichtige) Rollen zu - im Gegensatz zu mezzo forte dienen sie hier eher als akzentuierendes denn als tragendes Element - das mezzo forte-Stück "Domine" kann stellenweise als Hinführung zum insgesamt eher traditionellen Doom-Stil von fortissimo gesehen werden. Wer nun glaubt, dass Härte Melodie aussticht, irrt sich jedoch gewaltig, denn fortissimo strotzt förmlich vor Anspielungen auf und Querverbindungen zu mezzo forte (und pianissimo, und zwar gerade auf harmonischer und melodischer Ebene. So z.B. im zweiten Stück, "In Winter's Ash", bei dem die Gitarren über ein von der ersten Demo der Band übernommenes Grundriff bereits aus "In Death" und "Lacrimosa (I Am Blind with Weeping)" bekannte Motive spielen. Dass dabei trotzdem nicht nur jedes einzelne Stück, sondern auch die CD für sich betrachtet einen ausgereift-abgerundeten Eindruck hinterlassen, ist den herausragenden kompositorischen Fähigkeiten von London und Escarbe zuzuschreiben. Mit anderen Worten: Fortissimo funktioniert auch ohne die anderen Requiem-Teile.
A propos: Requiem - fortissimo ist ohne Zweifel die richtige CD für all diejenigen, die von Samantha Escarbes "weinenden" Gitarren noch nie genug bekommen konnten.
Obwohl es vielleicht als eine schlechte Idee betrachtet werden könnte, einzelne Stücke herauszugreifen, ist "Lacrimosa (Gather Me)" so etwas wie ein unvergesslicher emotionaler Höhepunkt des Albums: In herzzerreißender Weise gibt der Chor eine (von den pianissimo-Orchesterdemos bekannte) Melodie zum Besten, während der "Death Choir" in einfachen, aber kraftvollen Worten um Trost betet: "Gather me, shed my sorrow..."
"Darkness" heißt das große (fast zwölfminütige) Finale der CD. Viel möchte ich nicht darüber schreiben, doch sei gesagt, dass es sich dabei auch um einen würdigen Schlusspunkt der Trilogie handelt. Der Moment, an dem Rowan London am Ende eines "gegrunzten" Albums zum einzigen Mal singt, dabei jedoch nicht, wie vielleicht erwartet, opernhaft schmettert wie auf mezzo forte, sondern - in Trauer versunken - zerbrechlich summt, ist schlichtweg genial. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
In der offiziellen Pressemitteilung heißt es, fortissimo handle nicht so sehr vom Tod wie von der Abwesenheit von leben. In der Tat beschäftigen sich die Texte eher mit dem Schmerz der Hinterbliebenen: "Lifeless life cradles dust". Bilder, die dabei immer wieder vorkommen, sind die der totalen Dunkelheit und der Blindheit der Verzweiflung. Doch genau in der Kombination dieser Bilder liegt ein Stück Trost. Die "Dunkelheit" des Todes ist eben ein subjektiver Eindruck, der sich aus der Blindheit der Lebenden ergibt. "God in Dust" spricht in Anlehnung an den Mystiker Johannes vom Kreuz von "the dark night of the soul" - eine Formulierung, die bereits in sich birgt, dass nach der Nacht ein neuer Morgen anbricht. So ist Requiem - fortissimo vor allem ein Requiem für die Noch-Lebenden, für die Noch-Trauernden...
Bleibt zu erwarten, wann Requiem - pianissimo, der eigentlich erste Teil, erscheint und das Gesamtwerk abrundet. Fortissimo ist jedenfalls ein in jeglicher Hinsicht beeindruckendes Stück Klangkunst. Auch wenn Rowan Londons "fehlender" Gesang den Einen oder Anderen abschrecken wird - jedem Fan innovativer härterer Musik sowie all denjenigen, die Virgin Black schon immer mochten, sei dieses Album ans trauernde Herz gelegt.
Patrick Maiwald, 19. 02. 2007
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=> Virgin Black - Elegant... and Dying (Rezension)
=> Virgin Black - Requiem - mezzo forte (Rezension)
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