Was Kobolde uns über den Glauben lehren

George MacDonald - Die Prinzessin und der Kobold (The Princess and the Goblin) Heute geht es mir um einen einflussreichen Schriftsteller, der leider weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein scheint: Die Rede ist vom schottischen Prediger, Kinderbuch- und Fantasyautor George MacDonald (1824-1905).

Wer denkt, das Konzept "Fantasy" fange erst im 20. Jahrhundert mit Autoren wie J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis an, der braucht sich lediglich anzusehen, aus welchen Quellen diese sich haben beeinflussen lassen: Beide Autoren gestehen MacDonald einen prägenden Einfluss auf ihr Werk zu, und Lewis bezeichnete ihn einmal sogar als seinen "Meister", von dem er alles gelernt habe.

Das bei der (mit der Zeit geringer gewordenen) Leserschaft sehr beliebte Kinderbuch Die Prinzessin und der Kobold (erschienen 1872) lässt jedenfalls sofort Ähnlichkeiten etwa mit Tolkiens Hobbit und Lewis' König von Narnia erkennen. Die Geschichte spielt in einer (den schottischen Highlands nicht unähnlichen) Märchenwelt und handelt von der kleinen Prinzessin Irene, die - getrennt von ihrer königlichen Familie, aber dennoch gut behütet - in einem großen Landhaus am Hang eines Berges aufwächst. Tagsüber spielt sie in der unberührten Natur, aber beim ersten Abenddämmern muss sie ins Haus zurück, denn die Bewohner des Landes erzählen sich von den furchtbaren goblins - Kobolden, die die Höhlen unter dem Berg bewohnen und des Nachts herauskommen.

Als Irene und ihr Kindermädchen es eines Tages nicht rechtzeitig nach Hause schaffen, begegnen sie glücklicherweise dem mutigen Bergmannsjungen Curdie, der die sich nahenden Kobolde mit Gesang vertreibt und die zwei sicher nach Hause geleitet. Sogleich trennen sich die Wege der beiden Protagonisten Curdie und Irene wieder: Curdie kehrt zu seinen Bergleuten zurück, die wegen ihrer Arbeit in den Silberminen bereits Erfahrung im Umgang mit den Kobolden haben. Hier erfährt er eines Nachts, dass die Kobolde, deren Versteck er ausfindig macht, Pläne gegen die menschlichen Bewohner des Berges aushecken; während er sich anschickt, die Anderen zu warnen, begegnet Irene im Dachgeschoss des riesigen Landhauses ihrer geheimnisvollen Ururgroßmutter, die jung und fast engelsgleich erscheint, und um deren Existenz sonst niemand weiß.

Von dieser erhält Irene einen Zauberring mit einem unsichtbaren Faden daran, der sie bei Bedarf immer zur Ururgroßmutter zurückführen soll. Als bald darauf das Landhaus von den deformierten Tieren der Kobolde angegriffen wird, benutzt Irene ihren Ring, der sie allerdings zunächst in die Höhlen der Kobolde fühlt, wo sie Curdie, der von selbigen gefangengenommen wurde, das Leben rettet. Doch die größte Gefahr bleibt noch zu bestehen: Die goblins planen, die Minen zu fluten und das Landhaus anzugreifen, um die Prinzessin zu entführen...

Wie seine literarischen Nachfolger reichert auch schon MacDonald seine Geschichten durch kleine Anspielungen auf seinen Glauben an - so lernt etwa Curdie, dass es Dinge gibt, an die man glauben muss, auch wenn man sie nicht sieht (wie den unsichtbaren Spinnfaden, mit dessen Hilfe er gerettet wird); des Weiteren hat der majestätische "King-papa" der kleinen Irene, der am Ende auf seinem weißen Pferd angeritten kommt, um Irene zum königlichen Palast mitzunehmen, durchaus Ähnlichkeit mit dem auferstandenen Christus des Neuen Testaments.

Von diesem schönen und spannend geschriebenen Kindermärchen, auf das 1882 die noch bessere Fortsetzung Die Prinzessin und Curdie folgte, gibt es deutsche Übersetzungen zu kaufen, zu denen speziell ich allerdings nichts sagen kann (ich empfehle die preiswerte und dennoch schön aufgemachte "Puffin"-Ausgabe des englischen Originals).

Patrick Maiwald, 18. 09. 2005 (100. Todestag des Autors)

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