Irgendwann im Herbst 2002 wurden im hessischen Gießen die Innenseiten gegründet... Als ziemlich genau drei Jahre später eine der wirklichen Größen in der Gothic-Szene, die man als christlich inspiriert bezeichnen kann, auf Europatour ging, bildete ausgerechnet Gießen den Auftakt zu den fünf Konzerten in Deutschland. Da versteht es sich von selbst, dass ein Großteil der Innenseiten-Initiatoren sich im MuK trafen, um dem vielversprechenden Konzert beizuwohnen. Schließlich "kommen wir so jung nicht mehr zusammen", wie der User Trauerthom es sagen würde.
Doch wurde unsere Vorfreude gleich von vorneherein etwas getrübt: Als wir kurz nach Einlasszeit im MuK eintrudelten, wurde uns gesagt, die Kalifornier seien gerade erst angekommen und könnten nicht pünktlich anfangen. Nun gut, wir gingen zunächst ins Hinterzimmer, wo wir kickerten, ein paar Getränke zu uns nahmen und einem gerade anfangenden (viel zu lauten) Konzert der - soweit ich weiß - lokalen Band Sprechreiz lauschten. Als wir dann nach etwa 1 1/2 Stunden endlich in den Konzertraum im ersten Stock gelassen wurden, dauerte es noch mal über eine halbe Stunde, bis das Konzert losging, so dass Mz Eva O and Her Guns mit mehr als zwei Stunden Verspätung die Bühne betraten. Möglicherweise wartete man auf mehr Gäste, denn die Größe des Publikums als "etwas dürftig" zu bezeichnen, wäre noch untertrieben, wenn man bedenkt, dass Eva O eigentlich schon einen Namen in der Szene hat. Eva selber war jedenfalls von Anfang an mit ihren fiesen Kontaktlinsen, ihrer Gitarre mit den Engelsflügeln und ihrer eher spärlichen Bekleidung die skurrilste Gestalt und sofort das Zentrum der Aufmerksamkeit.
Das Konzert begann mit drei oder vier ineinander übergehenden, relativ punkiglastigen Stücken aus den Zeiten der Super Heroines. Das Trio (Eva hatte ihre neu angeheuerten "Guns", nämlich Steven Nikolaus und Seth Rice von They Died Laughing an Bass und Schlagzeug, mitgebracht) bewies sich als gut eingespielt und vor allem rhythmisch sehr versiert. Als nächstes folgte eine Coverversion des Stückes "Warning" von Aynsley Dunbar Retaliation bzw. Black Sabbath, bei dem das Trio ebenfalls ziemlich beeindruckend rockte.
Der zweite Teil der Bühnenshow Beschäftigte sich mit Material von Evas vertonter Autobiographie Damnation / Salvation. Hier wurde ein Sampler/Drumcomputer eingesetzt, was sich als nicht ganz problemlos herausstellte: Schon beim überlangen zweiteiligen Intro "Damnation" (es wurde zu meinem Erstaunen tatsächlich das über elfminütige Intro von der Damnation-CD "gespielt") drohte das Ding die Boxen zu zerschießen. Bei dem aus satanistischer Sicht geschriebenen Anfang ihrer Autobiografie wurde das Publikum ganz von Evas pathetischer Stimmgewalt vereinnahmt. Das wohl potenziell missverständlichste Stück der christlichen Musikgeschichte ging - exakt wie auf den CDs - in die neueren Versionen von "One by One" und "Blood Lust" über, bei denen das Trio erneut seine musikalischen Künste unter Beweis stellen konnte. Besonders bei letzterem Stück schmückte der neue Drummer seine Kunst noch mehr aus als Stevyn Grey es auf Damnation / Salvation bereits getan hatte.
Nach dem wieder etwas langsameren, aber nicht weniger anspruchsvollen Stück "Ride the Madness" bildete bildete das Stück "Diablo" den Höhepunkt der Show, hier allerdings mit einem etwas deplaziert wirkenden Kuhglockensound vom Drumcomputer (der wohl eigentlich nur für die Kopfhörer des Drummers gedacht war). Mitten im Stück hörte Eva auf zu spielen und ließ theatralisch einen nichtsahnenden Zuschauer aus der ersten der wenigen Reihen in ihren präparierten "blutigen Apfel" beißen (der arme Kerl bekam erst einige Minuten später mit, was geschehen war und wie er jetzt aussah, was den Effekt des offensichtlichen Symbols aber eher noch verstärkte).
An dieser Stelle war den Musikern die Arbeit mit den Samples anscheinend so anstrengend geworden, dass Eva beschloss, das Konzert abzukürzen und gleich zum letzten Stück des Abends, "Revelation", überzugehen (ich erfuhr im Nachhinein vom Gitarristen, dass ganze vier Stücke weggelassen wurden). Das letzte Stück war also gleichzeitig das einzige mit christlichem Inhalt - schade, denn ich hatte mich sehr auf das Material vom neuen Album gefreut; außerdem fehlte dadurch gewissermaßer der Ausgleich zum spirituell extrem dunklen Rest der Show. Nach etwa einer Stunde endete jedenfalls das Konzert mit dem einzigen neuen Stück, das in einem Schlagzeugsolo mündete. Zugaberufe bewirkten nur, dass Eva in einer Art Bademantel noch einmal die Bühne betrat und ihr Tagwerk für erledigt erklärte.
Gegen Mitternacht kam Eva mit den anderen Musikern noch an den Merchandising-Stand, und es wurden noch Autogramme geschrieben, Fotos gemacht und ein wenig Smalltalk geführt. Insgesamt habe ich beim Rückblick auf den gestrigen Abend ein eher gemischtes Gefühl: Obwohl ich froh bin, endlich einmal diese talentierte Künstlerin mit ihren gut eingespielten Musikern live gesehen zu haben, ließen die große Verspätung des Konzerts und das weitläufige Fehlen des christlichen Teils ihrer Autobiografie, der ja eigentlich dem Rest erst rückwirkend Sinn verleiht, einen Eindruck der Enttäuschung bei mir zurück. Hoffentlich klappt alles beim nächsten Mal besser; vielleicht wird ja auch der Traum eines gemeinsamen Akustik-Konzerts mit Eva O, Saviour Machine und Virgin Black irgendwann einmal wahr...
Text: Patrick Maiwald, 11. 11. 2005
Bilder: Daniel Keck
Ist das die neue Mode?
Goethes Erben beendeten ihre wohl letzte Tournee vollkommen ohne Zugaben, John Cale lässt sich gerade mal zu 90 Sekunden Geplänkel breitschlagen, nun Eva O völlig ohne... Und das nachdem sie das Publikum lange 110 Minuten warten ließ, um dann gerade mal die Hälfte dieser Zeit auf der Bühne zu stehen. Zuschauerfreundlich ist das nicht.
Zugegeben: Verstehen konnte ich sie. Wenn eine Künstlerin, die durchaus einen gewissen Namen in und außerhalb der Szene hat, in einem - pardon - Kaff wie Gießen vor gezählten 42 Zuschauern spielen muss, dann kann ich einen gewissen Frust durchaus verstehen.
Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Entscheidend ist ja nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch die Qualität. Und hier hinterließ Eva O bei mir einen ausgesprochen zwiespältigen Eindruck: Musikalisch versiert, nach kurzer Gewöhnungsphase ein fast schon hypnotisch zu nennender Gesang, hervorragende Gitarrenarbeit, Bassist und Schlagzeug sehr gut und zum Teil interessante Kompositionen ohne wirklich schlechtes Stück standen im heftigen Streit mit einer wirklich üblen Performance.
Nicht nur, dass der Sound zumindest den komplexeren, durch Sampling unterstützten Stücken nicht gewachsen war - dies hätte ich im MuK noch klaglos hingenommen. Unerträglich fand ich aber das Auftreten der Künstlerin. Irgendwie schien sie einem schlechten B-Movie entsprungen zu sein - mit aufgesetzten Vampirzähnen, Dominalook und sichtlich in die Jahre gekommen konnte sie zu keinem Zeitpunkt vermitteln, dass die "dunkle" Seite (innerhalb ihres Konzepts die Seite, die mit "damnation" überschrieben ist) irgendetwas Verführerisches hat. Wenn "Mister D" keine besseren Mitstreiter hat, brauchen wir uns wohl keine Sorgen zu machen. Ebenso störend wirkte für mich die brettharte, vollkommen humor- und ironiefreie Symbolik, die holzhammermäßig in der Überreichung eines roten Apfels gipfelte, der dann bei ersten Bissen eine zähe rote Flüssigkeit (sollte wohl Blut sein) über Mund und Zähne des "Opfers" fließen ließ. Ich bin zwar von Saviour Machine einiges an überladen theatralischer Symbolik gewöhnt - aber dies hier war wirklich der Gipfel an Flachheit.
Wieso müssen Christen immer etwas ausdrücken wollen und wieso geht es nicht auch einmal einfach, locker und humorvoll? - Diese Frage habe ich mir einmal mehr gestellt. Oder war das Ganze gar nicht "christlich"? - Ich jedenfalls hatte die ganze Zeit über den Eindruck, dass es der Künstlerin auf der dunklen Seite eigentlich ganz gut gefällt. Klar erkennbare christliche Aussagen haben sich mir daher auch nicht erschlossen.
Insgesamt überwog daher am Ende ein zwiespältiges Fazit: Mit geschlossenen Augen hätte ich 8 von 10 Punkten gegeben, sehenden Auges allerdings nur die Hälfte.
Text: Heiko Ehrhardt, 11. 11. 2005