The Last Dance und SeX Should Be FeMale

Am 3. November, dem Tag nach den US-Präsidentschaftswahlen 2004, machte ich mich bei Anbruch des Abends erstmals in meinem Leben auf den Weg zum Frankfurter Sinkkasten. Dafür kam ich erstaunlich pünktlich dort an, um zusammen mit nicht mehr als einer Handvoll wartender Schwarzgekleideter zunächst mal vor verschlossenen Türen zu stehen. Glücklicherweise kam dann aber nach einigen Minuten schon der Sänger von Sex Should Be FeMale, um lautstark gegen die metallene Eingangstür zu hämmern und "Hey, ich würd' gern zum Soundcheck!" zu brüllen (Antwort eines besoffenen Punks auf der anderen Straßenseite: "Halt's Maul, du A****!!!") - und nach einigen weiteren Minuten wurde der Schuppen auch tatsächlich geöffnet. Man schlenderte also hoch zum Auftrittsraum im ersten Stock, der bis auf die Veranstalter und die Mitglieder der auftretenden Bands natürlicherweise noch sehr menschenleer war.

Sex Should Be FeMale Leider wuchs die Zahl der Besucher im Laufe des Abends nur sehr langsam an, so dass zu Beginn des Auftritts der Vorband Sex Should Be FeMale nicht mehr als etwa 20 Leute zugegen waren. SSBF hätten ohne Zweifel mehr verdient. Die Würzburger Newcomer spielen schön unverschnörkelten, gitarrenlastigen Gothic Rock mit mehr oder weniger starken 80er-Einflüssen, der einen Großteil des Publikums sofort zum Tanzen animierte. Die vier Jungs auf der Bühne machten insgesamt den Eindruck, dass sie genau wussten, was sie taten, und auch, warum sie spielten - allein um des Spielens Willen. Der Sänger stieg des öfteren auf die Tanzfläche herab und wurde gleichsam zu einem Teil des Publikums, mit dem einzigen Unterschied, dass er ein Mikrofon in der Hand hielt. Der hageren Zuhörerschaft schien dies egal zu sein - selten, wenn überhaupt, habe ich einen Liveauftritt erlebt, bei dem der Frontmann der Band zeitweise scheinbar von keiner der anwesenden Personen beachtet wurde.

Die Besucherzahl stieg im Laufe des Auftritts von SSBF, die übrigens an dem Abend ihren zweiten Gig überhaupt spielten, nur geringfügig an, was zur Folge hatte, dass jeglicher Applaus - auch am Schluss des etwa 40-minütigen Konzertes - schnell wieder verebbte. Im Nachhinein erfuhr ich, dass eine Zugabe durchaus noch drin gewesen wäre, wäre der Applaus nicht so zurückhaltend geblieben. Wirklich schade, denn ich hätte gern noch mehr gehört...

The Last Dance Nach einer kurzen Umbauphase ging es dann direkt mit The Last Dance aus "Sunny California" weiter. Die optisch einiges hermachende Band (hat da jemand bei LipService eingekauft?!) begann mit einem episch anmutenden Choralintro aus der Konserve, das dann direkt in das erste Stück überging. Der charismatische Frontmann Jeff Diehm zog durch seine eigenwillige Gestik und Mimik die meiste Aufmerksamkeit auf sich, was aber nicht schadete, nicht zuletzt, weil seine Vocals live auch wirklich Hand und Fuß haben. Die schon bei der Vorband dagewesene Interaktion mit dem Publikum trieb dieser auf die Spitze, indem er z.B. mitten in einem der Stücke mitsamt Funkmikro seine Kreise durch den Zuschauerraum zog, um es sich dann auf einem der hinteren Sitzplätze in der Loge gemütlich zumachen und (singend) mit einer der dort sitzenden Damen zu flirten und - nach dem eher peinlichen Abblitzen - derselben (immer noch singend) aus gespielter Rache den Drink zu entwenden. Eine Show-Einlage sondergleichen... Zwischen den Stücken kam Jeff immer wieder kritisch auf die Bush-Wiederwahl in der vergangenen Nacht zu sprechen (mit Stolz wurde erwähnt, dass Kalifornien mehrheitlich für Kerry gestimmt hatte...).

The Last Dance Womit ich bei dieser sonst eher elektronisch orientierten Band nicht gerechnet hätte, war die Präsenz eines Schlagzeugers (übrigens kein Geringerer als Stevyn Grey, der schon mit Faith and the Muse oder Mephisto Waltz gespielt hat). Dieser gab der Musik einen "Live"-Touch, der mit Drumcomputer, Synths, Bass und Gitarren allein nicht zu erreichen gewesen wäre. Insgesamt ergaben die programmierte Elektronik und die live gespielten Instrumente ein in sich stimmiges und gut ausbalanciertes Bild, obwohl ich zeitweise die Rhythmussektion zu laut fand - lieber hätte ich mehr von Gesang und Gitarre mitbekommen. Auf die Dauer wirkten The Last Dance dann doch etwas eintönig auf mich (immer brav dem 4/4-Takt treubleiben, oder wie war das...), was aber vielleicht anders gewesen wäre, wenn ich im Vorfeld mehr von ihrer Musik gekannt hätte. Beim Publikum kam die Band insgesamt sehr gut an; auf jedes Stück wurde mit enthusiastischem Applaus geantwortet (soweit dies bei nur 23 zahlenden Gästen überhaupt möglich ist), so dass das Quartett selber überrascht war, zum ersten Mal in ihrer Karriere mit nicht weniger als zwei Zugabeblocks davonkommen zu können. Unter den Stücken, die als Zugaben gespielt wurden, befand sich u.a. eine Coverversion von Iggy Pop, bei der ganz auf Elektronik verzichtet wurde, was dem Stück im Rahmen des Konzertes nochmal einen besonders "rockigen" Touch gab. Als allerletzte Zugabe an diesem Abend überraschten die schwarzbunten Amerikaner (nach einer kurzen Einführung in die Unterschiede zwischen amerikanischem, britischem und deutschem Humor) mit einer Coverversion von "Oops - I Did It Again" von der Teenie-Ikone Britney Spears, einem Stück, dessen Titel The Last Dance laut Ansage sarkastisch auf den Ausgang der US-Wahlen hin interpretieren.

Nachdem dann das Konzert gelaufen und meine Ohren etwas tauber waren, und Freunde mir noch einen Drink und sogar ein T-Shirt spendiert hatten, hatte ich mit Jeff noch ein interessantes (wenn auch kurzes) Gespräch über christliche Musik und den Platz seiner Band in der "Szene", bevor ich mich auf den Nachhauseweg in einem fast menschenleeren Zug machte, um gegen 2 Uhr morgens ins Bett zu fallen. Der Eindruck, der mir geblieben ist: Eine sehr schöne Veranstaltung, die aber hätte besser besucht sein können. Nächstes Mal vielleicht!

Text: Patrick Maiwald, November 2004
"Nachtmodus"-Bilder: Joachim Schmidek