Donnerstag, der 5. 6. 2003, war ein heißer Tag. Zu dritt fuhren wir (Heiko, Daniel, ich) morgens von Gießen gen Leipzig los, brachten uns mit griechisch anmutender Urlaubsmusik in Stimmung und erfreuten uns an der Tatsache, dass wir Klimaanlagen unsere Freunde nennen durften. Der Grund für unser frühes Aufbrechen lag darin, dass wir pünktlich zur Eröffnung des WGT-Zeltplatzes da sein, dort mit ein paar Schweizern ein bescheidenes Lager herrichten und auch noch (über)pünktlich zur abendlichen Pflichtveranstaltung, dem "Gothic Christ Vol. II", erscheinen wollten - was auch alles wunderbar geklappt hat.
Als Frühankömmlinge durften wir noch miterleben, wie sich das "Rabet" langsam von einem stinknormalen Jugendzentrum in ein Jugendzentrum, in dem ein kleines Konzert stattfinden kann, verwandelte - und darüber hinaus auch noch einige zögerliche Worte mit den ebenfalls bereits anwesenden Mitgliedern von Virgin Black wechseln. Ist euch schon mal aufgefallen, dass diejenigen, die den weitesten Anreiseweg haben, immer als Erste da sind?? - Okay, das ist ein anderes Thema. Den Rest der Zeit verkürzten wir mit Siestas und dem Aufbau unseres provisorischen Innenseiten-Standes...
Bis schließlich der Abend hereinbrach, mehr und mehr (und doch irgendwie nicht genug) Leute kamen und das "Gothic Christ II" offiziell zu beginnen drohte. Wieso "drohte"? Weiß ich auch nicht. Wortwahl sechs minus. Setzen. Gut. Egal. Ich schreib’ trotzdem weiter. Also, die Jesus Freaks Leipzig hatten es also schon zum zweiten Mal hingekriegt, am Vorabend zum WGT in Leipzig einen "Spiritual WGT Warm-Up" zu organisieren - und auch das Jugendzentrum musste schon zum zweiten Male herhalten. Na ja. Das Lineup jedenfalls versprach diesmal viel...
Irgendwann haben Virgin Black dann einen Soundcheck gemacht, bei dem mir vor Begeisterung fast das Herz stehenblieb. Doch mehr dazu später. Gespannt versammelte man sich um kurz nach 20 Uhr, um die erste Band, Exaudi, zu sehen/hören... Wobei ich ganz ehrlich sagen muss, dass deren Demo-CD mich weit mehr beeindruckt hat als das Konzert. Ihre Musik scheint irgendwie gleichmäßiger, mid-tempo-lastiger, eintöniger und schon-mal-irgendwo-gehört-iger geworden zu sein. Während auf der Demo noch einiges an recht schönen Doom-Metal-Ansätzen zu hören war, schien das Ganze beim Konzert schneller, hektischer und mit mehr Gekreische vonstatten zu gehen. Stellenweise schienen die Jungs auch etwas unkoordiniert... Nun gut. Die meisten Langhaarigen blieben vor der Bühne, während der eine oder andere doch lieber die inzwischen kühle Abendluft genoss. Die Besitzer des Jugendzentrums hatten anscheinend die vorteilhafte Freundschaft zu Klimaanlagen noch nicht entdeckt. Das unfreundliche Klima im Gebäude regte jedenfalls nicht gerade dazu an, länger als unbedingt nötig drinnen zu verweilen. Vielleicht haben wir nächstes Jahr mehr Glück (?).
Unser Innenseiten-Stand wurde im Laufe des Abends mehr und mehr zu einem MCM/DTA/Exaudi-Verkaufsstand, und Daniel und ich waren plötzlich nicht mehr normal-sterbliche Konzertbesucher, sondern normal-sterbliche Verkaufshoschis, was auch mal die Erfahrung wert war. Kommerz pur, hähä!!! Los, Leute, kauft alles! Einmaliges Sonderangebot: Weiße T-Shirts!!!!! Jemand kam sogar an und kaufte mir die Kerzen ab, die ich eigentlich privat mitgebracht hatte. Kaufrausch!
In der Pause zwischen Exaudi und Dead Turns Alive hatten wir an unserem Stand die DTA-CD laufen... bis plötzlich einer kam, uns die CD wegnahm und sie in seinen eigenen CD-Player, der auf der Bühne stand, reinpackte. Damit hatte das nächste Konzert also offiziell begonnen. Aber Scherz beiseite: Bei den Elektro/EBMlern Dead Turns Alive kam natürlich nicht wirklich alles aus der Konserve. Einige Keyboards und die Vocals waren natürlich schon "live". Mit wenig mehr als ein paar Müllbeuteln an den schwitzenden Leibern versuchten DTA, für Stimmung zu sorgen - was ihnen vielleicht auch gut gelungen wäre, wenn ein paar mehr Leute dagewesen wären. Das Gothic Christ II war zwar schon insgesamt nicht gerade rege besucht, aber bei DTA standen mitunter wirklich nur etwas mehr als eine Handvoll Leute vor der Bühne.
Ich selbst verbrachte einen Großteil der Zeit, in der DTA spielten, mit dem Treffen alter und neuer Freunde und dem Genuss eines Thunfisch-Baguettes... Bis es schließlich um kurz vor Mitternacht Zeit für Virgin Black war, ihr erstes Konzert auf europäischem Boden zu geben. Der Raum schien voller und die Luft darin schlechter als je zuvor, als die Australier zu spielen begannen. Entgegen meiner Erwartung wurden fast nur Lieder vom Debüt-Album Sombre Romantic gespielt - vom Nachfolger Elegant... and Dying, der etwa einen Monat später in Deutschland erscheinen würde, spielten sie nur ein einziges Stück - das es übrigens bereits einige Wochen vorher zum Runterladen aus dem Netz gegeben hatte. Scheinbar wollte die Band nicht mit noch weitgehend ungehörtem Material schocken.
Bemerkenswert war auf jeden Fall, wie die Band die gespielten Stücke mit all ihrer latenten Energie und Dramatik aufleben ließ - und dafür nur ein einziges Sample benutzte, nämlich für den Anfang des Openers "Opera de Romanci". "Drink the Midnight Hymn" überzeugte mit unglaublicher Präzision und setzte ungeahnte Aggressionen frei - der Gitarristin Samantha war anzusehen, dass sie sich mit Haut und Haaren (und was für Haaren) in ihrem Element befand -, während ruhigere Stücke wie "...of Your Beauty" live noch mal mindestens doppelt so atmosphärisch wirkten wie auf CD. Gitarren, Bass und Schlagzeug bildeten die meiste Zeit über eine unschlagbar professionelle Einheit, auf die Rowan London (seinerseits auch ein wandelndes Haarwunder) mittels erschreckend gutem Gesang und Keyboards sozusagen das Sahnehäubchen draufsetzte. Sein Gesangsunterricht ist dem Mann durchaus anzumerken. Doch ist der blonde Lockenschopf nicht das einzige stimmlich begabte Bandmitglied: So fielen etwa "A Poet’s Tears of Porcelain" und "Lamenting Kiss" durch sehr gelungene dreistimmige Gesangsparts auf. Gegen Ende des knapp einstündigen Auftritts wagte man sich mit Erfolg an anspruchsvollere Stücke, wie das episch-minimalistische "Museum of Iscariot", sowie an zwei Stücke vom Demo-Tape heran - für mich ein besonderes Highlight des Abends. Den krönenden Abschluss bildete im weiteren Sinne das Stück "Walk without Limbs" und im engeren Sinne Rowans langgezogener Schrei "Walk through my sooooul..." - ein wahrlich historischer Moment.
Wie schon im Laufe des Konzertes angekündigt, gab es keine Zugaben. So was bringt anscheinend nur die Dramaturgie eines guten Konzertes durcheinander. Na gut. Wer uns den Abend mit solch hohen Künsten versüßt, darf meinetwegen auch ein paar Eigenheiten mit sich bringen. Das Ausbleiben von Zugaben hat mich auch nicht weiter gestört.
Die Soundqualität ließ zwar zu wünschen übrig (ein wenig Hall hätte vor allem den Vocals nicht geschadet) und das Klima hatte sich bis gegen Ende des Konzertes übers Tropische hinaus ins Nicht-mehr-irdische gewandelt, doch trotz aller widriger Umstände war ich sehr zufrieden mit dem ersten Konzert meiner Lieblingsaustralier, das ich miterleben durfte.
Anschließend begann sich das Jugendzentrum recht rapide zu leeren, und nach einem kurzen Wortwechsel mit der Band, die wir am nächsten Tag beim WGT wiedersehen würden, traten schließlich auch wir hinaus an die inzwischen erfrischende Nachtluft und fuhren zu unseren Zelten, die uns schon sehnsüchtig erwarteten.
Text: Patrick Maiwald, 11. 9. 2003
Bilder: Daniel Keck, Heiko Ehrhardt