Der christlich inspirierte Ausnahmekünstler Matt Frantz ist in deutschsprachigen Landen weitgehend unbekannt, und auch in seiner Heimat - den Vereinigten Staaten - stehen seine Chancen auf ein Coverfoto fürs Rolling Stone nicht gerade gut. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb stellt er einen guten Interviewkandidaten für die Innenseiten dar. Seinem Mangel an Popularität liegt vielleicht zugrunde, dass seine Musik (viele würden vielleicht eine andere Bezeichnung vorziehen) sehr unkonventioneller Natur ist: avantgardistisch-eigenwillige Gedichtlesungen, ungebändigt energische, teils noiseartige Klangcollagen, hypnotisierend psychedelische Instrumentalmusik. Aber auch seine sonstige Kunst kann sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen. Wer sich einen Einblick in Herrn Frantz' Schaffen verschaffen will, möge den Verweisen am Seitenende folgen. Hier aber erstmal das meiner Meinung nach recht interessante Interview:

Matt Frantz Hey Matt! Ich freue mich, dass du diesem Interview zugestimmt hast.
Könntest du uns zunächst etwas über deine Künstlertätigkeit allgemein erzählen? So wie ich das verstehe, beschränkt sich das, was du tust, nicht nur aufs Musikmachen...

Ich habe mich zwar schon immer für Musik interessiert, aber meine professionelle Haupttätigkeit liegt im Bereich der visuellen Kunst. Ich arbeite mit gemischten Medien, wobei ich Illustration, Fotografie und Design verbinde. Ich kreiere CD-Cover, Logos und Webseiten für Musiker. Einige Auszüge aus meinen Werken findet man unter CDCoverDesigns.com und MattFrantz.com. Ich bin auch Lehrer und Tutor für Kunst und Technologie.

Wie du weißt, haben wir von den INNENSEITEN eine "audiovisuelle Installation" deines wahrscheinlich umfangreichsten Werkes "Graphic Verses" organisiert. Hast du selber schonmal etwas von deinem Material selber präsentiert oder eine Präsentation miterlebt? Wenn ja, wie haben die Anwesenden reagiert?
Bei ein paar Gelegenheiten sind Auszüge aus "Graphic Verses" vorgeführt worden. Während einer Gruppenausstellung hatte ich ein einziges Bild auf einem Kasten mit Kopfhörern. Die meisten Ausstellungsbesucher hatten keine Ahnung, wer ich bin, so dass es mir möglich war, ihre ehrlichen Reaktionen und Gesichtsausdrücke anonym zu beobachten. Einige hörten es sich tatsächlich mehrere Minuten lang an, aber die meisten reagierten, als wären sie von einer Wespe gestochen worden.

Könntest du uns Genaueres über deine demnächst erscheinenden Veröffentlichungen, "Twitching Laceration" und "The Last Signal", erzählen?
"Twitching Laceration" ist ein Konzeptalbum über eine Wunde, die nicht verheilt. Das kann wörtlich verstanden werden, meint aber metaphorisch auch jedes länger andauernde Problem. Stell dir vor, du hättest eine große Schnittwunde irgendwo am Körper. Es bildet sich Schorf, und der Heilungsprozess beginnt. Dann zuckt die Wunde unwillkürlich, wodurch der Schorf aufgerissen wird und die Wunde sich von neuem öffnet, und somit den Heilungsprozess untergräbt. Nachdem die Wunde auf verschiedene Weisen behandelt wurde, was aber alles noch schlimmer gemacht hat, und auch für Heilung gebetet wurde, zuckt die Wunde immer noch. Was würdest du in solch einem Fall tun? - Die Texte und Geräusche auf der CD basieren auf diesem Gedanken; es geht um die Sorte von Schmerz, von dem nur Gott oder der Tod einen erlösen können.
"The Last Signal" ist eine Zusammenstellung von Soundcollagen, die darauf basiert, wie das Ende dieser Welt klingen könnte. Musiker und Soundbastler wurden gebeten, sich verschiedene Weisen auszudenken, wie die Welt enden könnte - durch einen grausamen Krieg, den jeder kommen sah, einen unerwarteten Knopfdruck, umweltliche Faktoren, oder durch das Eingreifen eines außerirdischen oder übernatürlichen Wesens. Zwei alternative Herausforderungen bestanden darin, sich die emotional intensivsten, chaotischsten, angsteinflößendsten, gemeinsten oder ernüchterndsten 60 Sekunden Sound vorzustellen, die jemals möglich wären, oder eine letzte Botschaft an die Welt aufzunehmen - das Letzte, was noch gesagt werden könnte, bevor alles Leben auf diesem Planeten ausgelöscht würde.

Hast du viele Einsendungen für "The Last Signal" bekommen?
Ja. Ich bin dabei, die herauszusortieren, die ich verwenden möchte, wobei ich über drei Stunden Rohmaterial zu filtern habe. Ich habe Einsendungen aus den USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Griechenland, Italien, Frankreich und Australien bekommen, und vielleicht aus ein paar anderen Ländern, die ich jetzt vergessen habe. Ich bin allen sehr dankbar, die sich mit ihren Einsendungen beteiligt oder mitgeholfen haben, Andere über das Projekt in Kenntnis zu setzen.

Wie lange dauert es normalerweise, ein Soloalbum wie "Graphic Verses" oder "A Place Where Time Has No Meaning" fertigzustellen?
"Graphic Verses" wurde über einen Zeitraum von drei Jahren geschrieben, und es dauerte acht Monate, das Album aufzunehmen. Im Gegensatz dazu wurde "The Fluoxetine Effect" (nur der Audioanteil) in 10 Tagen erdacht und fertiggestellt. "A Place Where Time Has No Meaning" hat sich über einige Jahre hinweg entwickelt. Die Zeiträume variieren, und wenn Projekte sich über Monate oder Jahre hinziehen, liegt es daran, dass ich oft an verschiedenen Projekten auf einmal arbeite.

Dein neustes Werk, "A Place Where Time Has No Meaning", ist eine Instrumental-CD, die einen 40-minütigen Track enthält. Woher kam die Inspiration dazu?
In diesem Fall inspirierte mich vorrangig der Wunsch, Geräusche von verschiedenen Instrumenten auf experimentelle Weise übereinanderzuschichten. Dem Projekt wurde ein Eigenleben zugestanden, ähnlich dem einer abstrakten Skizze in einem Notizbuch, wobei man dem Bleistift erlaubt, sich auszutoben, um dann zu sehen, was dabei rauskommt. So wurden die einzelnen Teile des 40-Minuten-Stücks gemacht, die ich im Nachhinein zusammenfügte. Am Rande bemerkt: der Titel der CD und des 40-minütigen Stücks bezieht sich darauf, was passiert, wenn die rechte Gehirnhälfte dominiert, weil sie für bestimmte Tätigkeiten mehr als die linke Gehirnhälfte beansprucht wird. Während man sich etwa kreativ betätigt, arbeitet man primär mit der rechten Hälfte, und da diese nicht für die Wahrnehmung von Zeiträumen verantwortlich ist, können viele Minuten oder Stunden vergehen, ohne dass man sich dessen bewusst wird. Dieses Phänomen habe ich erfahren, als ich die Geräuschkulissen herstellte, und die Hörer werden hoffentlich einen ähnlichen Effekt erleben.

Was inspiriert dich generell als Künstler?
Gefühle. Manchmal die Werke Anderer, manchmal auch aktuelle Ereignisse in der Welt da draußen, aber hauptsächlich Emotionen, hervorgerufen durch persönliche Erfahrungen, Kämpfe und Wünsche.

Siehst du dich als Teil einer bestimmten "Szene"?
Nein. Ich arbeite zwar mit Leuten zusammen, aber meistens auf persönlicher oder projektorientierter Basis.

Welche Arten von Musik hörst du gerne?
Ich mag Rock, Heavy Metal, diverse Arten von Instrumentalmusik, Folk, Oldies, Pop, Klassik und vieles dazwischen. Oft wundern sich Leute darüber, was sie alles in meiner Musiksammlung finden, vor allem, wenn sie dort vor allem Industrial-CDs erwarten. Ich gehe gerne zu Räumungsverkäufen von Gebraucht-Musikläden und nehme die seltsamsten CDs mit, die ich finden kann.

Was liest du gerne?
Gerne lese ich gar nichts. Ich habe nichts gegen die Weitergabe von Gedanken, Ideen oder Geschichten; das Problem ist einfach, dass ich dem mühsamen, zeitaufwändigen Prozess abgeneigt bin, der damit verbunden ist, meine Augen sich auf dem Papier hin- und herbewegen zu lassen, das Buch zu halten, die Seiten umzublättern, usw. Deshalb lese ich in der Regel eher der Information als der Unterhaltung wegen. Einige Bücher, die ich zur Zeit lese, sind: "Synaptic Self" (über das Verhältnis zwischen Neurotransmittern und der Persönlichkeit), "The Brain Chemistry Diet" (über den Einfluss von Nahrung auf Emotionen und Gehirnfunktionen), "See You at the Top" (über Motivation und die Verwirklichung von persönlichem Potenzial). Es wird sicher eine Weile dauern, bis ich mit ihnen fertig bin. Zur visuellen Stimulation leihe ich mir ständig Bücher aus der Bibliothek, hauptsächlich wegen der Bilder. "The Sacred Heart" ist beispielsweise ein geniales Buch voller OP-Fotografien, das ich gerne rumzeige.

Die Bands und Künstler, über deren Werke wir berichten, kommen alle aus christlichen Hintergründen, und viele von ihnen scheinen Probleme mit anderen Christen zu haben, die ihre Kunst falsch interpretieren. Hast du selbst auch schon so etwas erlebt?
Ja, aber in gemäßigtem Ausmaß. Ich könnte jetzt eine interessante Geschichte erzählen, aber ich beschränke mich lieber darauf, zu sagen, dass ein weitaus größeres Problem darin besteht, dass Leute die Worte der Bibel falsch interpretieren. Sie verstehen, dass einige meiner Werke sich mit Hass, Begierde und Depression auseinandersetzen, soweit liegen sie also schonmal richtig. Ich glaube aber, dass sie sich täuschen, wenn sie meinen, dass eine ehrliche Auseinandersetzung mit weniger schönen Empfindungen sich irgendwie nicht mit dem christlichen Glauben vertrage. Ich glaube an keine Lebensweise, die das Böse ausklammert, weil so etwas nicht möglich ist. Es ist nicht der Garten Eden, in dem wir leben, und die gegenwärtigen Umstände werden sich nicht in Luft auflösen, weil man so tut, als gäbe es sie nicht. Wenn ein Arzt operiert, achtet er sehr sorgfältig auf mögliche Fehler oder Komplikationen, damit diese schnell korrigiert werden können. Ihm wird nicht vorgeworfen, schwarzmalerisch zu denken, nur weil er sucht und analysiert, was schädlich ist. Warum sollte also jemand, der an geistliche Heilung glaubt, denken, dass geistliche Blindheit oder Leugnung von Tatsachen Wege zur Besserung wären?

Besonders die amerikanische christliche Musikszene scheint ein Problem mit Kunst zu haben, die um ihrer selbst willen existiert, anstatt als bloßes Mittel zum Zweck zu dienen. Woher kommen solche Gedenken deiner Meinung nach, und wie kann man sie überwinden? (Wenn du es total anders siehst, kannst du uns auch gerne deine Überzeugungen mitteilen!)
Ich denke, dass Leute, die so denken, das tun, weil sie es als ihre Verantwortung sehen, das Evangelium weiterzugeben. Wenn sie denken, dass dies das Wichtigste ist, was sie tun sollten, dann ist jeglicher Talentgebrauch, der diesem Zweck nicht dient, eine Ablenkung oder Sünde. Wenn ihre Überlegungen darauf basieren, dass sie einem höheren Zweck dienen wollen, dann respektiere ich ihre Hingabe. Ich aber sehe das mit der Kreativität und der Kunst ein wenig anders. Ich glaube, dass kreative Betätigungen eine tragende Rolle in der Entwicklung eines Menschen spielen, genauso wie es wichtig ist, laufen zu lernen. Um Andere dazu zu bringen, diese Meinung mit mir zu teilen, würde ich sagen, dass die Definition Gottes als Schöpfer des Universums und die Tatsache, dass der Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen wurde, es nur logisch erscheinen lassen, dass wir einen gewissen natürlichen kreativen Impuls in uns zu nähren haben.

Warst du schonmal in Deutschland?
Nein, aber ich hatte mal ein deutsches Auto. Ich wünschte, ich hätte es immer noch.

In der offiziellen Künstleranfrage für "The Last Signal" wurde vorgeschlagen, dass man sich überlegen sollte, was die eine Botschaft an die Welt wäre, die man noch würde loswerden wollen, wenn alles Leben auf Erden plötzlich ausgelöscht würde. Was wäre in diesem Fall dein eigenes "letztes Signal", wenn du überhaupt eins hättest?
Über die Frage, wie meine letzte Botschaft an die Welt aussehen würde, habe ich zum ersten Mal nachgedacht, als ich letztes Jahr eine Vorführung besuchte. Der Künstler stellte Leuten die Frage, wie ihre letzte Botschaft lauten würde. Während ich im Publikum saß, war das Beste, was ich zustande bekommen habe "Behandelt Andere so, wie ihr behandelt werden möchtet" - und mir ist seitdem auch noch nichts besseres eingefallen. Vielleicht gibt es keine bessere Botschaft. Trotzdem wäre der Ratschlag am Ende der Welt wohl nicht sehr hilfreich, da keine Zeit mehr wäre, danach zu handeln. Im Moment plane ich zu schweigen.

Interview geführt von Patrick Maiwald; Januar 2004


=> dieses Interview im "Originalton"

=> Matt Frantz (Homepage bezüglich seiner visuellen Kunst)
=> Independent Opposition (Homepage bezüglich seiner Musik)
=> CDCoverDesigns.com (seine CD-Cover)

=> Graphic Verses (Rezension)