Forderungen nach Musikzensur zwischen christlichem Fundamentalismus und staatlichem Jugendschutz

Von den Anfängen der "harten" Rockmusik an ist die Frage nach dem Bezug speziell dieser Musikrichtung hin zu satanisch-okkultem Gedankengut immer wieder, und häufig ausgesprochen polemisch, gestellt worden. Es gibt wohl kaum eine vergleichbare Musikrichtung, die ähnlich umstritten ist - und der Streit geht nicht nur um ästhetische oder musikalische Qualitäten, sondern immer auch um ein (unterstelltes?) Weltbild, das von den Musikern angeblich nicht nur privat gelebt, sondern auch öffentlich propagiert wird.

Auf diese Weise gerieten im Verlauf der letzten 3 Jahrzehnte eine Reihe von Musikern und Bands in Verdacht, offen für den Satanismus zu werben, offen brutale Gewalt zu propagieren und mit Texten, Covern, Liveauftritten und harten Rhythmen einen Lebensstil zu fördern, der schließlich in Gewaltexzessen, schwarzen Messen oder Selbstmorden gipfelt. Berühmt geworden ist etwa der Prozeß um die Band Judas Priest, deren Album Stained Class die Jugendlichen Raymond Belknap und James Vance auf dem Wege subliminaler Botschaften (sogenanntes "backward masking" - das Gemeinte wird rückwärts aufgenommen und soll so das Unterbewußtsein beeinflussen) in den Selbstmord getrieben haben soll - ein Prozess, der mit einem klaren Freispruch für die Band endete, der aber deutlich machte, welche Ängste und Sorgen in Bezug auf harten Rock herrschen.

Das vorliegende Buch nun hat sich zur Aufgabe gesetzt, den vielen Gerüchten, die sich um den Heavy Metal ranken, auf den Grund zu gehen, und darüber hinaus nicht mehr und nicht weniger zu bieten, als ein "komplettes Kompendium der Musikzensur im angloamerikanischen und deutschen Sprachraum" darzustellen. Ein Versuch, der - soviel möchte ich vorneweg bereits betonen - derart gelungen ist, dass sich wohl jede künftige Darstellung des Themas "Heavy Metal und Satanismus" daran wird messen lassen müssen, und der zugleich zu deutlicher Zurückhaltung im Bereich der Zensur mahnt. Die äußere Form ist allerdings zunächst einmal abschreckend: Mehr als 400, äußerst eng bedruckte Seiten und mäßig reproduzierte Bilder schrecken auf den ersten Blick ab, und auch die schmale Auflage von 750 Exemplaren deutet an, dass Sparsamkeit beim Druck geherrscht haben muß.

Ignoriert man allerdings diese oberflächlichen Kritikpunkte, und läßt man sich auf eine Lektüre ein, wird man das Buch sobald nicht mehr aus der Hand legen. Kenntnisreich ist es, sorgfältig ausgearbeitet, und an vielen Stellen gibt es harte, aber durchaus verdiente Urteile über wirklich schlechte Bücher vor allem aus evangelikal-fundamentalistischen Kreisen.
Zu den heftig kritisierten Büchern gehören neben Ulrich Bäumers knappen Traktat Wir wollen nur deine Seele (dieses Buch wird freilich nicht ausführlich kritisiert, da es inzwischen vergriffen ist) und John Rockwells Trommelfeuer auch einige Schriften von Friedrich Wilhelm Haack, wobei sich gerade bei der Kritik dieser Schriften zeigt, dass Wehrli differenziert urteilen kann. Dies sollte der zu erwartenden Gegenkritik aus evangelikalem Lager ein Stück weit den Boden entziehen.

Besonders hilfreich, und zum Teil sogar für mich überraschend, ist die Art und Weise, wie Wehrli viele "Legenden", die im Lauf der Jahre immer wieder abgeschrieben wurden, als solche enttarnt, um sie dann auf den Boden des tatsächlichen Geschehens zurück zu führen. So hält sich hartnäckig die Behauptung, dass der Farbige Meredith Hunter 1969 beim Festival in Altamont von den als Ordnungskräften engagierten "Hell's Angels" erschlagen wurde, während auf der Bühne die Rolling Stones "Sympathy for the Devil" spielten. Suggeriert wird damit, dass ein Zusammenhang zwischen dem Satanismus der Rolling Stones und dem brutalen Tod dieses Konzertbesuchers besteht und es entsteht der Eindruck, dass der Tod von Hunter eine Art satanisches Menschenopfer gewesen sein könne. Dieser Bericht stützt sich vor allem auf das Buch Die Rolling Stones von Tony Sanchez, der meist kritiklos zum intimen Freund der Rolling Stones erklärt wird. Tatsächlich allerdings fungierte Sanchez vor allem als Drogendealer für die Rolling Stones - allein schon von daher müssen seine Bücher kritisch gelesen werden. Bessere Quellen liefern dagegen der Film Gimme Shelter, der beim Konzert gedreht wurde, und das Gerichtsverfahren gegen den mußmaßlichen Mörder, den "Hell's Angel" Passaro: Dieses endete mit einem Freispruch wegen Notwehr, da eindeutig zu belegen war, dass Meredith Hunter die Hell's Angels mit einem Revolver bedroht hatte. Und der Film Gimme Shelter zeigt ebenso deutlich, dass die Rolling Stones den Tod von Hunter weder sehen konnten, noch dass sie zu diesem Zeitpunkt "Sympathy for the Devil" spielten.

Gleichzeitig allerdings zeigt Wehrli auch deutlich, dass das Konzert von Altamont, bei dem neben Hunter im Gedränge noch weitere Personen zu Tode kamen, ein Fiasko war, dass der Eitelkeit oder Dummheit speziell Mick Jaggers entsprang. Auch hier also eine differenzierte Darstellung, die das Negative benennt, aber falsche Schlüsse zurückweist.

Diese Form der Darstellung zieht sich durch das ganze Buch. Immer wieder werden oft kolportierte Legenden auf ihren Wahrheitsgehalt hin befragt, ohne dass damit einfach alles gut geheißen wird. Die Darstellung der "Böhsen Onkelz" etwa kommt zu dem Ergebnis, dass die "Böhsen Onkelz" weder rechts noch links sondern schlicht unpolitisch sind (zu Recht !) - dass sie aber musikalisch und textlich zugleich von so "simpler Denkart" sind, dass der anhaltende kommerzielle Erfolg der Band dringend eine analytische Betrachtung erfordern würde.

Und die brutalen "Auswüchse aus dem Untergrund", speziell der norwegische "inner circle" mit seinem bis nach Sondershausen reichenden Arm, wird klar und deutlich aufgrund seines Gewaltpotentials und seines rechtsextremen Weltbildes verurteilt - eine klare Wertung, die das Buch erfreulich deutlich von Moynihans weitgehend unkritischem Lords of Chaos abhebt.

Neben diesen "Entmythologisierungen" sind vor allem zwei Ausführungen hervorzuheben: Zum einen eine vor allem psychologisch fundierte Kritik der Theorie des "backward maskings" (S.111 - 129, Wehrli selbst ist Psychologe, der als Redakteur für den Basler Mediendienst arbeitet), die zu dem Ergebnis kommt, dass "der Glaube an die Wirksamkeit von Rückwärtsbotschaften ein Glaube bleibt" (S.129) - und das unabhängig davon, dass manche Bands tatsächlich Rückwärtsbotschaften in ihre Songs einbauen.
Zum anderen zeigt eine lange Liste von in Deutschland zensierten Musikern und Bands auf S.226 - 319, wie absurd Zensur häufig vorging (zu den zensierten Musikern gehören z.B. H.D. Hüsch und Udo Jürgens). Dieser lange Abschnitt über Musikzensur in Deutschland macht das Buch dann auch weit über die Zielgruppe der Heavy Metal Fans hinaus interessant.

Wo viel Licht ist, ist aber auch einiger Schatten: Bisweilen sind die Urteile - vor allem über die Heavy-Metal-Gegner - überzogen polemisch, und insgesamt entsteht der Eindruck, dass die durchaus differenzierte Betrachtungsweise, um die sich etwa der Materialdienst der EZW bemüht, nicht bekannt ist oder nicht gewürdigt wird. Und der Bereich des christlichen Heavy Metal scheint dem Verfasser so gut wie überhaupt nicht bekannt zu sein, wie z.B. eine Aussage über die christliche Band Petra auf S.117 zeigt. Dies sind allerdings kleine Schatten, die den hervorragenden Gesamteindruck kaum trüben.

Insgesamt erhält man ein Buch, das neben einer kenntnisreichen Geschichte des Heavy Metal die Frage nach der Berechtigung und Anwendung von Zensur so deutlich stellt, dass man ihm eine breite Leserschaft wünscht.

Münster/Westf., 2001
ISBN 3-933060-04-4
20,45 €

Heiko Ehrhardt, 25. 02. 2003


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