Dunkelpoppige Endzeithymnen

Wedding Party - Anthems "In the Year of Our Lord 1998" (so das Booklet) fand sich die christliche Formation Wedding Party (die als solche schon längst nicht mehr unter uns weilt) zusammen, um ihr einziges Tonwerk aufzunehmen. Dass das Ganze von Saviour-Machine-Frontmann Eric Clayton produziert wurde und insgesamt vier Künstler mitmischen, die irgendwann einmal im Dienste von Saviour Machine standen, lässt christliche Gothic-Fans natürlich aufhorchen. Wer jetzt allerdings eine weitere komplexe, herausfordernde und in sich selbst versunkene Oper über die Apokalypse erwartet, wird staunen. Denn Anthems stellt mehr oder weniger eine kleine Sammlung überraschend simpel gehaltener Endzeit-Hymnen in einem leicht verdaulichen Düsterpopstil dar. Im Vergleich zu SM also "easy listening". (Wer dennoch auf einen Vergleich zur Legend-Trilogie pocht, stelle sich ein SM-Album voller Stücke wie "The Lamb" oder "The Bride of Christ" vor.)

Doch nicht, dass einer denkt, Anthems wäre ein eintöniges Album. Mir gefällt es wirklich gut, und das nicht zuletzt wegen seiner Vielseitigkeit. Allein schon der erste Titel, "War Memorial", der musikalisch zwischen zartem Piano und opulenten (saviourmachinesken) Gothic-Metal-Passagen hin- und herpendelt, verlangt einiges vom Hörer (im Hintergrund ist auch Eric Clayton zu hören). Es folgen ein paar ähnliche Stücke, in denen ebenfalls Metaleinflüsse präsent sind, ohne jedoch Überhand zu nehmen. Ab Track 7 wird das Ganze dann ruhiger, und es überwiegen Piano-, Akustikgitarren- und Keyboardklänge ("Gothic Pop"?). "Lamb" gleicht musikalisch einem Kinderschlaflied. Beim Lagerfeuerklampfenstück "No More Night" hört man sogar minimale Country-Einflüsse heraus (die CD ist, ganz nebenbei bemerkt, in Nashville, Tennessee aufgenommen worden). Nach der emotional ergreifenden Pianoballade "Bury the Dead" kommt das Album mit "Omega", einem melancholisch-ruhigen Stück im 6/8-Takt, das die Dringlichkeit des Missionsauftrags betont ("My children, we’re running out of time..."), zu einem abgerundeten Ende.

Der Gesang wird größtenteils vom Ehepaar William und Sheri Watters übernommen, wobei besonders William durch seine stimmliche Leistung heraussticht: Seine sauberen, kraftvollen, leidenschaftlichen und teilweise verletzlichen Vocals machen Hoffnung, bald mehr von ihm zu hören. Vergleiche mit Eric / Saviour Machine sind auch hier nicht unangebracht.

Erwähnenswert ist auf jeden Fall noch das aus dem Rahmen fallende Stück "Alliance", das Anklänge an Ritual-Musik enthält und mit seiner monotonen Percussion, den verzerrten Stimmen sowie den gewöhnungsbedürftigen Gastvocals von Eric Clayton (Saviour Machine) und Paul Q-Peck (One Bad Pig) ein gewöhnungsbedürftiges und hörenswertes Unikat der gesamten christlichen Musik darstellt.

Noch eine Bemerkung zu den Texten: Wer hier auf Ähnlichkeiten mit Saviour Machine hofft, wird enttäuscht werden. Das meiste, was hier geboten wird, ist eindeutig, problemlos verständlich und nicht auf einem sehr hohen Niveau; vielmehr sind viele Texte sehr einfach gestrickt und erinnern allein schon durch das ständig wiederkehrende Thema der eschatologischen Hoffnung eher an moderne Lobpreistexte als an anspruchsvolle Lyrik.

Anthems ist meiner Meinung nach eine lohnenswerte Anschaffung für Freunde leicht hörbarer, düster angehauchter Musik. Endzeitkunstfetischisten hingegen, denen selbst Saviour Machines Legend Part II nie komplex und undurchdringlich genug war, sollten es sich aber vielleicht lieber zweimal überlegen.

Edit 10/2005: Bei der Stephans-Buchhandlung bekommt man diese CD derzeit für 7,95 €!

Patrick Maiwald, 20. 08. 2003


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