Beeindruckend niveauvoll

Van Morrison - Common One

Der Mann ist ein Phänomen.

Vor fast 40 Jahren hauchte, atmete, knurrte er mit seiner Band Them Dylans "It's All Over Now, Baby Blue" zu einem einzigartig depressiven Monument gesanglicher Größe, das sich bis heute vor den meisten Düstersongs nicht verstecken muss. Später dann, auf Solopfaden, schuf er mit der New Age-Hymne Astral Weeks ein packendes Cross-Over zwischen Jazz, Blues, Soul und Rock. Dass sich das berühmte Modern Jazz Quartett dazu bereiterklärte, für diese Produktion in die Rolle einer reinen Begleitband zu schlüpfen, deutet etwas von der musikalischen Grösse dieser Komposition an.

Dann freilich wurde es ruhig um Van Morrison.

Alkoholgerüchte machten die Rede, und bisweilen leistete sich Morrison den Luxus, ein Konzert nach dem ersten Stück abzubrechen, weil ihm die Band, die Technik oder der Saal nicht professionell genug erschienen. Insgesamt jedoch machte er den Eindruck eines ausgebrannten Musikers, der mit sich und der Welt fertig ist.

Kurz bevor es wirklich so weit war, besann sich Morrison dann aber seiner christlichen und keltischen Wurzeln. Konnte er auf Into The Music, das eine Art Wiedergeburt darstellte, jubeln: "Als ich ganz unten war, hat mich der Herr wieder nach oben gebracht", so geriet das folgende Album Common One zu einem jener Alben, die auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert in jede gut sortierte christliche Sammlung gehören.

Nähert man sich diesem Gesamtkunstwerk (das mit einer Spielzeit von nahezu einer Stunde für die insgesamt 6 Stücke alles sprengte, was damals für eine Schallplatte normal war), dann sollte man entweder Kenntnisse von Soul, Blues, Jazz und Komponisten wie z.B. Debussy haben - oder aber man nähert sich vollkommen offen einem Werk, das am Ende beeindruckt, aber auch erschöpft entlässt. Morrison und seine famos spielende Band (allein der Dialog von Saxophon und Trompete ist ein Genuss) schaffen es, eine völlig eigene Definition von Musik irgendwo zwischen Folk, Jazz und Soul vorzulegen, die in dem 15-minütigen Stück "When Heart Is Open" eine Zuspitzung erfährt, die schwindeln lässt. Intensiver hat vorher oder nachher wohl kein Sänger einen Song durchlebt und die Intensität von Morrisons Gesang lässt buchstäblich frösteln (oder schwitzen - je nachdem...).

Die Texte sind dem musikalischen Niveau angemessen und schlagen einen weiten Bogen über die angelsächsische Literatur von John Milton bis James Joyce.

Insgesamt weiß Gott keine leichte oder eingängige Platte. Aber eine Platte, die ungebrochen beeindruckt und deren hohes Niveau sie auf einen Sockel stellt, den wenige Andere auch nur entfernt erreichen.

Heiko Ehrhardt, 20. 06. 05


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