Image ist alles

Rackets & Drapes - Candyland In unserer Klassiker-Reihe geht es heute um das erste Album der legendären kalifornischen Shock-Rocker Rackets & Drapes. Es ist in den letzten zehn Jahren wohl keiner anderen Band gelungen, innerhalb der christlichen Szene so schnell in Verruf zu geraten. Wo man sie kannte, da hasste man sie (die üblichen Ausnahmen - Flaming Fish, HM Magazine und dergleichen - seien mal außer Acht gelassen). Und um zu verstehen, wieso das so war (und ist), braucht man nicht weiter als auf die Rückseite dieser CD zu schauen, denn man muss schon zweimal hinsehen, um die vier dort abgebildeten Gestalten nicht für die Bandmitglieder von (Gott bewahre!) Marilyn Manson in deren antichristlich-bonbonbunter Frühphase zu halten.

Zum geschichtlichen Drumherum: Musiker, die Ende der Neunziger auf die glorreiche Idee kamen, "shock rock" oder auch "horror metal" zu spielen, mussten sich in aller Regel schon sehr anstrengen, um nicht allerorts als M. M.-"Abklatsch" verschrien zu werden. Sie mussten ständig auf der Hut sein und an ihrem ganz individuellen Image feilen, um ja niemals mit dem Gothfather of Shock Rock schlechthin verglichen zu werden - ein schwieriges Unterfangen, auf das R&D sich gar nicht erst einließen, von daher auch der dreiste "Look-Alike-Contest" auf der CD-Rückseite. Vielleicht mussten R&D auch gar nicht auf stilistische Unabhängigkeit plädieren, diese wäre ohnehin geheuchelt gewesen. Nein, wenn schon ärgern, dann richtig - mit einem Projekt, an dem nicht nur die ganze westliche Welt Anstoß nehmen sollte, sondern - und das ist wirklich true - auch Manson selbst. Denn R&D sind bekennende Christen.

Ein christliches Shock-Rock-Album über häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, religiöse Heuchelei, Abtreibung - und nebenbei auch über die frohe Botschaft. Ein genialer Kunstgriff, das scheinbar Unvereinbare zu vereinen, oder der klägliche Versuch verwirrter unreifer Freaks, die nur auf Provokation aus waren? Viele sind sich bis heute nicht sicher. Fest steht nur: R&D ist Kult.

Rein stilistisch sind jedenfalls Unterschiede zum bereits mehrfach genannten Marilyn Manson - ob nun explizites "Vorbild" oder nicht - dadurch gegeben, dass die Musik hier größtenteils primitiver, härter und "thrashlastiger" wirkt. Frontmann Kandy Kane schreit sich etwa die Hälfte der Zeit die Seele aus dem Leib, richtig eingängige (gesungene) Melodien sind eher selten. Das instrumentale Fundament besteht zu etwa gleichen Teilen aus metallischen Gitarren, Keyboards (oft im klasischen "Horror-Orgel"-Sound) und sehr schlichtem Drumcomputer. Überhaupt ist der Einfluss von Computern auf die Musik deutlich zu spüren: Für ein Stück reichen ein paar Gitarrenriffs mit nur wenigen Variationen und ein paar wenige Orgeltöne aus, die dann je nach Bedarf beliebig oft hintereinanderkopiert werden. Ideenreichtum ist jedenfalls etwas anderes. Auch der Sound der CD wirkt sehr unausgegoren und ausbaufähig, wie unter anderem die nachfolgenden Alben gezeigt haben (erklärendes Zitat von Kandy Kane aus einem HM-Interview: "We never really 'mastered' it.").

Textlich geht es, wie bereits angedeutet, oftmals in Richtung bitterer Gesellschaftskritik. Stücke wie "Love with a Fist" oder "Ball and Chain" sind aus der Sicht von ungewollten bzw. misshandelten Kindern geschrieben, "Milk and Cookies" hingegen aus der Sicht des archetypischen "bösen Onkels", der kleine Kinder mit Süßigkeiten zu sich locken will, um sie dann (nach eigenen Angaben) aufzufressen... Hinter "Disease of Me" verbirgt sich eine Kampfansage gegen den inneren Schweinehund; "Bride in Black" scheint symbolisch von der Gnade Gottes zu erzählen, während "Home Street Home" unter anderem in klaren Worten mit dem als abschreckend wahrgenommenen "Bodenpersonal" abrechnet: "...See the sign on the streets that say 'Jesus saves' / but you're wondering who / They say that you can't be saved, they discriminate...".

Zu Rackets & Drapes insgesamt und zu ihrem Image kann man nach wie vor stehen, wie man will; zumindest "Candyland", ihr wohl wichtigstes Werk, verdient es meines Erachtens jedoch auf jeden Fall, gehört zu werden, bevor man sich ein vorschnelles Urteil erlaubt.

Patrick Maiwald, 23. 05. 2006


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