Raue Anfänge

Necromance - White Gothic Heute geht es mir um einen wahren Klassiker der "schwarz-christlichen" Musik, der sich, zumindest vom Titel her, auch selbst als einen solchen begreift.

Vorweg: An dieser CD haftet eine Aura des Amateurhaften - das Fehlen eines Strichcodes und der Angabe eines Plattenlabels auf der Rückseite zeugen davon, dass White Gothic in Eigenarbeit der Band entstand. Dementsprechend waren auch die Umstände, unter denen ich die CD damals bestellte - ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Teenager 1997 die CD aus Nürnberg geschickt bekam (zuvor hatte ich einer amerikanischen Zeitschrift (!) bedurft, um auf die CD aufmerksam zu werden), zusammen mit einem Brief vom damaligen Bassisten.

Was aber hat der Uneingeweihte sich unter White Gothic vorzustellen (der Titel ist unverkennbar an die christliche "White Metal"-Szene angelehnt, die auch bis Mitte der Neunziger noch unter diesem Namen florierte - eine schwarze Christenbewegung hat das Album jedoch natürlich nicht hervorgerufen...)? - Nun, Necromance ist bzw. war ein sehr heterogenes Projekt, das auch schon zuvor (ohne das christliche Vorzeichen) eher metallastige Demos veröffentlicht hatte und nun, erstmals mit weiblichem Gesang und billigem Drumcomputer bestückt, bereit war, seine neue Mission "christlicher Gothic" zu beginnen. Der Kerzenleuchter auf dem Cover sowie das Bild einer knienden Gestalt mit schwarzer Mönchskutte und großem Silberkreuz im Innern der CD zeugen von diesem frühen Selbstverständnis des Projekts als "Licht für die schwarze Welt".

Heterogen war die Gruppe zu diesem Zeitpunkt besonders deshalb, weil die einzelnen Mitglieder anscheinend verschiedene musikalische Vorstellungen hatten bzw. sich für verschiedene Musikstile verantwortlich zeigten. So enthält White Gothic sehr unterschiedliche Stücke, die sich grob in vier Kategorien einteilen lassen: Zum Einen wären da die harten metallastigen Stücke wie "Vom Sterben", "Vom Hindern" oder die Pro-Israel-Hymne "God is Might", die ein wenig an Rammstein erinnern und vor allem von Runhardt Schefflers Grunt-Stimme geprägt sind. Diese Stücke prägen sich am schnellsten im Gedächtnis ein und bilden wohl das Herzstück der CD. Daneben gibt es noch teils hymnenhafte Klampfenlieder, die größtenteils wörtliche Bibeltextvertonungen sind und eine stoische Ruhe ausstrahlen, die sie wohl nicht zuletzt Mike Petricks Gesang verdanken. "Lillies of the Field" oder "Eternal Glory" gehören in diese Kategorie. Als nächstes wären da unberechenbare Instrumentalstücke wie "Signs of the End of the Age" (rückwärts gesprochene Bibelverse zu merwürdig-schizoider Lachsackkulisse) oder "Sounds of Brainstorms", die etwas Klangcollagenhaften an sich haben und wohl Schefflers großer Experimentierfreude zu verdanken sind. Völlig aus der Reihe fällt das einzige von Sandra Bogdan geschriebene Stück "Mysterious Night", eine nachdenkliche Ballade, bei der die Sängerin sich selber mit der Akustikgitarre begleitet.

Necromance waren zu dieser Zeit wohl weniger eine Band im eigentlichen Sinne als ein loses Künstlerkollektiv, von dem jeder etwas beitrug, um die CD mit verschiedensten Einflüssen anzureichern. Die Soundqualität lässt zu wünschen übrig, und auch die deutschen Akzente der Sänger lenken stellenweise vom Inhalt der Texte ab. Die Texte selber entstammen, wie gesagt, zum Teil der Bibel selber, und sind zum Teil auch daran angelehnt. Bogdans "Mysterious Night" schildert eine Art mystisches Bekehrungserlebnis, während "Vom Sterben" oder "Our Seats Are Empty" sich von der (eigentlich für christlichen Metal typischeren) "Einmal ist es zu spät"-Thematik nähren. In "Vom Hindern" lehnt sich Scheffler in theologischer Hinsicht für meinen Geschmack etwas weit aus dem Fenster... Obwohl ich heute insgesamt wahrscheinlich nicht mehr so viel von White Gothic halten würde, ist und bleibt das Album von allen Necromance-Werken mein liebstes, vor allem wegen seiner einmaligen Vielseitigkeit (nach diesem Album stieg Bassist und Sänger Mike Petrick leider aus).

Die CD ist auf jeden Fall ein Klassiker des (leider viel zu seltenen) deutschen christlich inspirierten Gothic. Soweit ich weiß, ist das Werk heute ausverkauft; eine Zeitlang gab es das ganze Album im MP3-Format von der Necromance-Homepage runterzuladen. Jeder, dem Experimentierfreude und eine interessante Thematik wichtiger sind als guter Sound, sollte also zugreifen, wenn er das Album irgendwo ergattern kann.

Patrick Maiwald, 04. 05. 2006


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