Kompromittierender Schweißerbrillen-Alternative

Massivivid - BrightBlur Nachdem Wally Shaw sich jahrelang als Frontmann des Elektro-/EBM-Projekts Deitiphobia in der amerikanischen christlichen Undergroundszene einen Namen gemacht hatte, gründete er Ende der Neunziger ein Nebenprojekt namens Vivid. Als dann Drummer, Gitarrist und Bassist hinzukamen, wurde aus Vivid Massivivid - und der Sound der Band klang (fürs Erste) auch nicht mehr wirklich nach Underground: Auf BrightBlur spielen die Texaner E-Gitarren-Rock, in dem elektronische Elemente zwar eine große Rolle spielen, aber nicht im klanglichen Mittelpunkt stehen. Insgesamt soll wohl eine Brücke zwischen modernem post-industrial-angehauchten Alternative und der christlichen Popszene geschlagen werden.

Persönlich fühle ich mich von dieser CD etwas enttäuscht, da sie offiziell als "christliche Alternative zu Nine Inch Nails" gehandelt wurde, was aber nicht ganz der Wahrheit entspricht. Mit Trent Reznors ausgefeilter Elektronik und "life sucks"-Melancholie haben diese optimistischen, mitunter fast poppigen Stücke nicht viel zu tun. Schlecht ist die Musik mitnichten: Viele der Stücke sind sicher auf ihre eigene Art "ohwurmtauglich" - und immerhin hat das Album einen "Dove-Award" abgesahnt. Aber gerade dies zeigt auch, dass es, E-Gitarren hin oder her, wohl insgesamt doch eher den Geschmack der softpoppigen christlichen Szene der USA als den irgendwelcher Subkulturen bedient. Mit "schwarzer" Musik hat das Ganze jedenfalls recht wenig zu tun.

Ein Schwachpunkt des Albums besteht aus meiner Sicht darin, dass auch nach mehrmaligem Hören die alle etwa 3- bis 5-minütigen Titel sich einfach zu sehr ähneln, als dass man sie auseinanderhalten könnte. Zu den wenigen Ausnahmen gehören wohl vor allem der eingängige, fast groovende Opener "Flesh:wound" (der in stark veränderter Form als nicht ganz ernstzunehmendes Albumoutro wieder auftaucht) sowie das relativ düstere, fast sechsminütige Stück "Drop", in dem auch die zeitgenössische Dichterin LaDonna Witmer sozusagen als Gastkünstlerin eins ihrer Gedichte vorträgt. A propos: Die Texte sind allesamt sehr gut geschrieben - ich zitiere einen einprägsamen Satz: "Hope casts me headlong into You...". Die christliche Perspektive ist auch fast immer eindeutig herauszulesen (was für den Gewinn des besagten christlichen Awards sicher auch dienlich war). Das Titelstück oder auch das Stück "Forgiven" sind gewissermaßen Lobpreislieder... der Name "BrightBlur" ist übrigens an C. S. Lewis angelehnt, der seinen Eindruck von Gott mit den Worten "a bright blur becoming brighter and blurrier" beschrieb ("eine helle Verschwommenheit, die immer heller und immer verschwommener wird"); in dem Stück "Deep Heaven" finden sich zudem Anspielungen auf Lewis' Science-Fiction-Trilogie, was mich natürlich besonders freut. Einzig störend ist die Tatsache, dass die Texte leider nicht im technoid designten Booklet (wusste gar nicht, dass man 1998 auch schon spacige Schweißerbrillen trug?!) zu finden sind, so dass man bei Google danach fischen gehen muss.

Die CD ist in mehreren Versionen erschienen - und wie der Zufall es wollte, habe ich leider diejenige ohne den Aleixa-Remix von "Flesh:wound" als Bonustrack erwischt - schade, denn es hätte mich interessiert, was Aleixa wohl daraus gemacht haben, hatten sie sich doch bereits (auf dem Sampler Sweet Family Music) als bemerkenswerte Neuaufleger von Stryper erwiesen... Was ich noch seltsam finde, ist, dass der auf der Rückseite angegebene Titel "The Glimpse" auf der CD nicht auftaucht... vielleicht gäbe es diesen ebenfalls nur auf der anderen Version?

Insgesamt halte ich BrightBlur für ein interessantes christliches Alternative-Rock-Album, dem man auf jeden Fall eine Chance geben sollte, das jedoch den typischen Goth leider nicht aus der Gruft hervorlocken wird. Dafür geht es dann doch zu viele Kompromisse in Richtung Pop-Kompatibilität ein, wobei die Innovation weitläufig auf der Strecke bleibt.

(Mittlerweile haben Massivivid übrigens noch ein zweites, weitaus weniger poppiges Album herausgebracht...)

Patrick Maiwald, 15. 02. 2006

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