Neue düstere Elektronik von der New Yorker Front

Level - Denial Ich wage einmal zu behaupten, dass das meiste, was an elektronischer Musik veröffentlicht wird, entweder viel zu linientreu-klischeehaft, oder aber zu gewöhnungsbedürftig bzw. einfach nur schlecht ist. Die richtig guten CDs bewegen sich auf einer relativ dünnen Linie zwischen diesen beiden Polen. Levels zweite Scheibe Denial ist solch ein Glückstreffer. Herausfordernde Stücke und eingängige Ohrwürmer begegnen sich, und Melancholie, Monotonie und Einfallsreichtum gehen ungeahnte Beziehungen miteinander ein. Viel Düsterkeit, ein wenig Tanzbarkeit und ein kleiner Schuss Aggression verhelfen dem Gesamtwerk schließlich dazu, unbedingt an dieser Stelle erwähnt werden zu müssen.

Um den Hintergrund des Projektes in einem Satz zusammenzufassen: Level ist ein Ein-Mann-Projekt, das den wahrscheinlich jüngsten Ableger der sogenannten "New York Posse" bildet, eines kleinen Kreises New Yorker Christen, die vor allem in den 1990ern durch diverse Projekte mit auf Elektronik basierender düster-aggressiver Musik und unerhört kritischen Texten allerseits - vor allem bei anderen Christen - für Aufruhr gesorgt haben. (Dan Levler ist übrigens die eine Hälfte von AP2.) Auf seinem zweiten Soloalbum sind die früheren Rock- und Metaleinflüsse fast vollständig elektronischen Klängen gewichen, was als Schritt in die richtige Richtung zu sehen ist. Vielfach herrschen eher langsame bis gemäßigte Rhythmen vor, die von sehr "bassigen" Keyboardtönen begleitet werden (das Richtige, um Nachbarn zu ärgern). Die insgesamt doch recht abwechslungsreichen "cleanen" Vocals und die gelegentlichen Melodiebögen in den höheren Tonlagen runden den Eindruck eines in sich stimmigen, futuristisch-dunklen Klangwerkes ab. Gut, ich habe schon weitaus bessere Gesangsstimmen gehört, aber das soll uns hier nicht weiter stören...

Gitarren werden spärlich, und von daher meistens mit einer gewissen Berechtigung, eingesetzt. Insgesamt ist unter den zehn Tracks auf der CD vieles dabei, um mich tage- und wochenlang beschäftigen... dabei ist Denial sicher keine Scheibe, die man unbedingt jeden Tag hört... sondern eher eine langfristige Anschaffung, die man auch nach längerer Zeit wieder auspacken und aufs Neue genießen kann. "Home" ist dabei wohl das einzige Stück, das in Richtung EBM tendiert, alles Andere ist, wie gesagt, eher langsame "Hörmusik". Was dabei etwas verwirrt, ist, dass viele Tracks eigentlich aus mehreren hintereinandergehängten Stücken bestehen, so dass z. B. manchmal ein eineinhalbminütiges Instrumentalstück vor ein Lied gesetzt wurde, das dann erst ab 1:30 "richtig" anfängt. Verwirrend ist außerdem, dass die Reihenfolge der Stücke, wie sie auf dem CD-Inlay und im Internet angegeben ist, nicht mit der tatsächlichen Reihenfolge auf der CD übereinstimmt. Die meisten Stücke sind jedoch entweder relativ eingängig, oder aber sie mausern sich erst nach einiger Zeit zum Ohrwurm hoch.

Gegen Ende der CD zeigt Level dann, was er rhythmisch auf dem Kasten hat, indem er verstärkt vertrackte Synkopen einsetzt oder auch mal ein ganzes Stück lang ("What Free Is") den 5/4-Takt beibehält - interessante Spielereien, die allerdings nicht unbedingt zur Hörbarkeit der Stücke beitragen. Im letzten Viertel droht das Album also schließlich doch vom anfangs erwähnten Mittelweg abzuschweifen. Der allerletzte Track, "Decide", versucht dann mit verstärktem Gitarreneinsatz, der wohl am ehesten als Hommage an "alte Zeiten" aufzufassen ist, alles wieder ins Lot zu bringen. Ob ihm das gelingt, ist Ansichtssache.

Fest steht, dass Level mit Denial eins der besseren (und durch den viel zu kleinen Vertrieb auch eins der unterbewertetsten) Alben der düster-elektronischen Musik der letzten Jahre geschaffen hat. Die Texte halten sich übrigens auch von Extremen fern, indem sie größtenteils weder in eine dezidiert christliche noch in eine übermäßig kritische Richtung gehen. Der Chorus des Openers, das paradoxerweise "End Title" heißt, lautet schlicht "You want me to believe in nothing". Weitläufig scheint von persönlichen Problemen die Rede zu sein. Der Text des Stückes "Open Mind" scheint (kritisch) an Herrn Levlers Bruder gerichtet zu sein, der mittlerweile unter dem Namen Celldweller fernab von christlichen Kreisen seine Brötchen verdient. Einzig "Restore" hat eine tiefgehende spirituelle Dimension; mir scheint, als verberge sich hinter dem Text der Wunsch, dass Gott mit mehr Respekt begegnet werden möge ("...ihr verkauft mich billig / ich verbleiche in eurem Schatten / meine Schande ist vollständig / macht mich wieder heilig..." [Übers. des Rezensenten]). Darin könnte man eine implizite Kritik an der christlichen Musikindustrie sehen, was für die Texte der "New York Posse" typisch wäre. Aber das Stück lässt sich sicher auch anders interpretieren...

Trotz kleinerer Mängel bleibt mein Urteil ein durchweg positives: Insgesamt ist Denial eine CD, deren Anschaffung Freunde innovativer Elektronik in Erwägung ziehen sollten. Wer allerdings reinen EBM oder fröhliche Musik erwartet, wird sicher enttäuscht werden. Zu bestellen ist die CD beispielsweise bei Whirlwind Records.

Patrick Maiwald, 21. 07. 2005

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