Abwechslungsreiche Klangräume zum Dahinschwelgen... hat gerade jemand "Metal" gesagt?

KohllapseWenn ich an die ersten Jahre zurückdenke, in denen ich mich für die "dunkle" Seite der Musik zu begeistern begann, kommen mir unweigerlich einige CDs in den Sinn, die mir in dieser "ersten Stunde" besonders ans Herz gewachsen sind. Neben dem üblichen Standardprogramm aus dem typischen Christian-Goth-CD-Regal (Saviour Machine, Virgin Black, The Awakening, etc.) ist das Debutalbum der australischen Formation Kohllapse (erschienen 1996) eine dieser Scheiben.

Mit allen neun Tracks der CD vermag das Trio um Rohan Edwards mit einer beachtlichen Klangvielfalt (meist irgendwo zwischen Akustik, Doom, Gothic Metal und Rock) zu imponieren - gut, die Soundqualität ist nicht die beste, aber versucht doch selbst einmal, in eurem Schlafzimmer ein Album mit vergleichbarer Tiefe und Vielfalt aufzunehmen...! Zumal die Stimme des damals einundzwanzigjährigen Rohan (dessen Vorname übrigens genausowenig mit dem gleichnamigen Volk aus Tolkiens Lord of the Rings zu tun hat wie der Bandname mit irgendwelchen Ex-Kanzlern) mal Richtung Pete Steele, mal Richtung Scott Stapp tendiert, und dabei immer authentisch und überzeugend genug klingt. Die mittelmäßige Soundqualität stört jedenfalls nicht wirklich, mitunter trägt sie meines Erachtens sogar noch zur Dichte der Atmosphäre einiger Stücke bei.

Stilistisch einzuordnen sind die meisten Stücke wohl am ehesten als düster-doomige Metalsongs, die aber Dank zahlreicher Akustikgitarren- und Keyboardeinsätze stark Richtung Gothic Metal tendieren, ohne jedoch "klischeehaft" zu wirken. Das dominierende Mid-Tempo wird dabei öfter mal von extrem langsamen Parts sowie schnelleren thrash-angehauchten Einlagen abgelöst, ohne dabei chaotisch oder nervenaufreibend zu wirken - der Gesamteindruck ist trotz aller Mannigfalt ein sehr harmonischer.

Und das, obwohl die einzelnen Songs - musikalische wie textlich - in sehr verschiedene Richtungen gehen. Die drei mehr oder minder kurzen akustischen Instrumentalstücke "Path", "Towards" und "Serenity" bilden sozusagen den Rahmen des Albums, wobei uns der Text, der im Booklet unter "Serenity" abgedruckt ist, die Stücke erst in einen Bezug zueinander setzt: "...I then see the path towards God, the path towards serenity". Der geniale Track "Tell Me Your Fears", eine mehr als zehnminütige Auseinandersetzung mit Träumen und deren (eventuelle) geistliche Signifikanz, das düstere "Never", ein ergreifendes Klagelied über eine zerbrochene Beziehung, oder die minimalistische Akustikrockballade "My Child", die in eindrücklichen Bildern einen Christus portätiert, der sich nach den Menschen sehnt, die ihn ablehnen, sind einige Beispiele für die genialen Songs, die dieses Album umfasst. Am meisten aus dem Rahmen fällt allerdings "An End to Pain": Reinster, übelster, knüppelharter, und doch atmosphärischer Black Metal. Der Stilbruch geschieht unerwartet, aber nicht ohne Grund: Der Track ist die Vertonung von Markus 5:1-20 (die Heilung des Besessenen von Gerasa), und zwar aus der Sicht des Besessenen. Noch nie war aggressives, ohrenzerreißendes Black-Metal-Gekreische in den hochheiligen Gefilden der christlichen Musik angebrachter oder gerechtfertigter. Und auch hier klingt Rohan authentisch und keinesfalls "untrue" ;-). Spätestens wenn man "An End to Pain" hört und den Text dazu liest, wird man sich zweier Tatsachen bewusst: 1. Mister Edwards weiß genau, was er tut, und 2. Kohllapse = Kunst.

Obwohl die äußere Aufmachung der CD mit dem unkonventionellen Coverfoto (und dem Fehlen eines Strichcodes) anspricht, stellt das viel zu knapp gehaltene Booklet für mich ein Manko dar - nach einem Großteil der Texte muss man bei Bedarf im Internet fischen.

Schade ist außerdem, dass das Kohllapse-Lineup nach diesem Album à la "Zehn kleine Jägermeister" stetig zusammenschrumpfte, bis Rohan schließlich (verständlicherweise?) keinen Sinn mehr darin sah, allein wieterzumachen.

Leider ist mir nicht bekannt, wie gut oder schlecht man zur Zeit in Deutschland an die CD rankommt. Ich habe sie mir damals über die Stephans-Buchhandlung bestellt. Aber in deren neustem Mailorder-Katalog ist sie nicht mehr aufgeführt. Auf jeden Fall konnte man sich bis vor kurzem unter MP3.com/Kohllapse einige Stücke umsonst runterladen, was aber natürlich sowieso keinen Ersatz für das gesamte dreiviertelstündige Erstlingswerk darstellt.

Wer noch eine Möglichkeit findet, die CD zu ergattern, sollte jedoch unbedingt zugreifen, sich spät abends in seine Strube zurückziehen, ein paar Kerzen anzünden und in die Welt von Kohllapse eintauchen - denn dieses künstlerisch wirklich wertvolle Album birgt eine sich langsam entfaltende Tiefe in sich, die man erlebt haben sollte...

Patrick Maiwald, 08. 04. 2003


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