Vom digitalen Zeitalter und akustischem Müll

The Violence of Sound Flaming Fish Music ist ein Gothic-/Industrial-Label. Oder vielleicht sollte man eher sagen: Es wäre gerne eins. Denn es ist unglaublich, was in den Staaten bisweilen alles als "Industrial" oder "Gothic" verkauft wird: Oft maskieren diese ach so angelsächsisch klingenden Titel nämlich in Wirklichkeit irgendeinen Metal oder harten Rock mittelmäßiger Qualität, der sich nur dadurch von "herkömmlichem" Metal oder Rock mittelmäßiger Qualität unterscheidet, dass einige elektronisch erzeugte Geräusche und gerne auch mal ein paar Samples mehr oder weniger passend in den Gesamtsound eingearbeitet werden. Kennern "echter" schwarzer bzw. industrieller Musik sträuben sich bei der Vorstellung natürlich die Achselhaare, oder sie überlegen zumindest, ob sich da nicht jemand bei der Betitelung ein wenig geirrt hat.

Wie dem auch sei, KILLINGTHEOLDMAN gehörte jahrelang zu ebendieser Sorte oft mit unpassenden Titeln versehener amerikanischer Musikprojekte, bis vor einiger Zeit (das CD-Booklet gibt über das genaue Jahr keine Auskunft) The Violence of Sound das Licht der Welt erblickte. Die Musik auf diesem Album ist ohne Bedenken als schwarz, oder zumindest schwarz angehaucht, zu kategorisieren.

Ein wichtiger Kritikpunkt sei allerdings gleich vorweggenommen: Von den 64 Minuten Spielzeit auf der CD (14 Tracks) sind nämlich nur 41 Minuten (7 Tracks), also zwei Drittel, mit Musik gefüllt. Das verbleibende Drittel besteht aus 13 Minuten überaus langweiliger Klangexperimente (schepper, heul, flüster, piep, rumpel, dröhn - und alles völlig uninspiriert) sowie zehn Minuten Stille (!).

Aber die 41 Minuten Musik sind, für sich gesehen, durchaus lohnenswert. Stilistisch ist die Musik des Ein-Mann-Projekts wohl zwischen Gothic und Alternative Rock (schön schwammige Begriffe!) anzusiedeln. Elektronische Beats und metallastige Riffs fehlen dabei genausowenig wie eingängige Melodien und ein ordentlicher Schuss Melancholie. Trotz der verschiedenen Einflüsse verliert Joseph Kopnick aber, im Gegensatz zu seinen Labelkollegen, nie das musikalische Gleichgewicht. Schon der Opener, das depri-trip-poppige "Evolved", spricht für sich: Über Drumcomputer, Jazzorgel und verträumte Gitarren legt sich ein vermutlich auf einem Werkzeugkasten gehämmertes Percussion-Solo, während im Refrain der melancholische Gesang lamentiert: "The digital age has raped us / Taken away our humanity". Härtere Gitarrenriffs werden auf dem Album häufig mit softeren Klängen kontrastiert, und oft bilden Keyboards und Gitarren eine beinahe perfekte Einheit, die wiederum gut mit Herrn Kopnicks Stimme harmoniert, ob dieser nun singt, spricht oder flüstert (was relativ häufig der Fall ist). Für einen einzigen Menschen ist das Erschaffen solch vielseitiger und trotzdem noch homogener Musik sicher eine große Herausforderung, der KILLINGTHEOLDMAN alias Joseph Kopnick aber mit The Violence of Sound durchaus gerecht wird. Im Bereich christlicher Musik ist mir Vergleichbares nur mit Strychnine Kiss alias Nathan Van Hala und Betrayal alias Marcus N. Colon (Leaving Nevermore) untergekommen.

Da das relativ minimalistisch gehaltene (obwohl ansprechend gestaltete) Booklet keine Texte enthält und diese teilweise recht schwierig zu verstehen sind, kann ich keine genaue Aussage darüber treffen, ob außer Projektname und Label noch andere Indizienen auf Herrn Kopnicks Glauben hinweisen. Die Texte scheinen sich jedenfalls größtenteils mit Schwierigkeiten in der heutigen Gesellschaft zu befassen.

Insgesamt enthält The Violence of Sound einige schöne Momente, wobei sich aber die Frage stellen lässt, warum das Album nicht einfach auf die fünf oder sechs relevanten Stücke gekürzt und als EP herausgebracht werden konnte - man hätte nur auf die überflüssigen 25 Minuten verzichten müssen; dies wäre für den Otto-Normal-Verbraucher sicherlich die günstigere und willkommenere Variante gewesen. Denn niemand gibt gerne ca. 17 Euro für eine 64-minütige CD aus, von der über ein Drittel bestenfalls als akustischer Abfall zu bezeichnen ist. Oder?

Patrick Maiwald, 26. 02. 2003


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