Das bekannteste Werk des kanadischen Songpoeten

Bruce Cockburn - Stealing Fire Wenn christliche Rock- und Popmusik ein soziales Gewissen hat, dann trägt dieses Gewissen seit mehr als einem Vierteljahrhundert den Namen Bruce Cockburn. Mehr als alle anderen christlichen Musiker hat der kanadische Singer/Songwriter es über die Jahre vermocht, musikalisches und textliches Niveau, soziales Engagement, beißende Sozialkritik und christliche Texte zu in sich konsistenten und zusammenhängenden CDs zu verbinden, und mehr als vielen Anderen nehme ich ihm ab, dass dies seinem christlichen Glauben entspringt.

Dies freilich hatte auch seine Schattenseiten. Recht bald geriet Bruce Cockburn in den Ruf eines notorischen Gutmenschen, der immer und überall auftrat – häufig umsonst –, wo es um die "gute" Sache ging, und dessen musikalisches Helfersyndrom bisweilen ein wenig wahllos wirkte. "Ärzte ohne Grenzen", "Ärzte gegen den Atomkrieg", "Irgendwer gegen Irgendwas" – wo immer die politisch Korrekten ein Festival feierten, war BC mitten unter ihnen.

Und dann kam Stealing Fire. Eine CD, die einen Wendepunkt markierte.

Zum einen hatte sie mit "Lovers in a Dangerous Time" einen echten Hit, einen Hit, dessen pathetische Schlusszeile "gotta kick at the darkness 'til it bleeds daylight" postwendend von anderen Pathetikern wie Bono (U2) übernommen wurden. Gleichwohl klingt dieses Liebeslied bis heute großartig, großartiger als so ungefähr alles, was im Formatradio dudelt. Zum anderen gab es mit "Maybe the Poet is Gay" ein ironisches Stück, wie es bis heute selten geschrieben wurde.

Und dann war da noch "If I Had a Rocket-Launcher". Das Stück, das den Ruf Bruce Cockburns nachhaltig beschädigte, und das in der christlichen Szene zu nachhaltigen Diskussionen führte. Denn Bruce Cockburn hatte aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und klar und deutlich seine Wut heraus gelassen. Eine Wut, die gespeist war aus seinen Erfahrungen als Aufbauhelfer in Nicaragua. Nicaragua war damals – vor rund 25 Jahren – der Versuch, einen menschlichen Sozialismus mit christlicher Basis aufzubauen. Ein Versuch, der an menschlichen Unzulänglichkeiten ebenso scheiterte wie am Widerstand der – wohl von den USA finanzierten, bis heute ist das umstritten – "Contras", die die Regierung von Daniel Ortega mit Macht beseitigen wollten. Und ebendies hatte Bruce Cockburn miterlebt: Die Lage in Flüchtlingslagern, die von Hubschraubern beschossen wurden, und in denen die Hoffnung auf Menschlichkeit zunehmend kälter wurde und erstarb.

Und aus dieser Erfahrung von Ohnmacht und Gewalt dann der Aufschrei: "Wenn ich einen Raketenwerfer hätte, würden ein paar von diesen Hundesöhnen sterben." Ein Text, der die christliche Szene polarisierte, der die Frage stellte: Darf man das? Oder ist das im christlichen Glauben unvorstellbar – derartige Wut? Auch wenn sich die Einschätzung der politischen Situation in Nicaragua und der sandinistischen Revolution heute sicher anders darstellt als vor 25 Jahren, so bleiben diese Fragen doch aufgegeben: Darf ein Christ wütend sein? Darf ein Christ Gewalt predigen, Gewalt anwenden, wenn es darum geht, Schwächere zu schützen und Recht und Gesetz durchzusetzen? Und wo findet dieses seine Grenze?

Wenn Stealing Fire diese Frage offen hält, ist diese CD bis heute aktuell. Musikalisch ist sie es sowieso…

Heiko Ehrhardt, 08. 05. 2004

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