Wind und Gottesfurcht de profundis

Arvo Pärt - Te Deum "Der Wind bläset wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht von wannen er kommt und wohin er fähret." - Diese kryptischen Worte aus Johannes 3 zieren als Motto die erste von 50 Seiten des Booklets zu diesem Album. Und tatsächlich scheint Pärts Meisterwerk "Te Deum" wie ein Klang aus einer anderen, längst vergessenen Welt.

Selten hat eine CD bei mir so extreme Emotionen ausgelöst, die ich doch nicht in Worte fassen kann. Der in Berlin wohnhafte Komponist malt hier ein weiches, tiefschwarz gefärbtes, transzendentes Bild, das in der zeitgenössischen klassischen Musik zweifelsohne seinesgleichen sucht. Es ist das Bild einer in absoluter Stille die mystische Erfahrung suchenden Seele, und gleichzeitig der aus dem tiefsten Grunde des Herzens entsprungene Lobpreis des dreieinigen Gottes. "Te Deum" ist eine etwa halbstündige Vertonung des gleichnamigen liturgischen Textes ("Te Deum laudamus / te Dominum confitemur...") und nimmt zeitlich gesehen etwa die Hälfte der vorliegenden CD in Anspruch.

Beansprucht wird ebenfalls die volle Aufmerksamkeit des Hörers, wobei keine Rolle spielt, ob man sich mit klassischer Musik auskennt oder nicht. (In meinem Fall ist es nicht so.) Denn mit dem 28-köpfigen Chor, dem Streicherorchester und dem präparierten Klavier haucht der Komponist dem dank zahlloser anderer Vertonungen der Verstaubungsgefahr ausgesetzten lateinischen Text neues Leben ein. Das Stück ist dynamisch sehr abwechslungsreich (ohne jedoch jemals störend oder übertrieben pompös zu wirken) und dramaturgisch nahezu perfekt. Dabei erinnert mich die Atmosphäre des öfteren z.B. an Virgin Blacks "Opera de Romanci", oder vielmehr an eine Art "geläuterte" Form desselben Stückes. Die vielen für Pärts "Tinntinnabuli-Stil" typischen Quinten wecken Assoziationen mit etwas nicht näher bestimmbarem, etwas transzendentem, uraltem, und vor allem heiligem. Besonders mit den vielfältigen Einsätzen des Chors (bis hin zu vereinzelten Solistenauftritten) weiß Pärt sicher und "textgetreu" umzugehen - was man merkt, wenn man einmal den Text (im Booklet synoptisch in lateinischer, deutscher, englischer und französischer Version abgedruckt) beim Hören mitverfolgt. In Momenten der Hoffnung erstrahlt der Chor immer wieder kurzzeitig in reinem Dur, bevor dann in den letzten Minuten Engelsstimmen sich ein trinitäres "Sanctus, Sanctus, Sanctus" zurufen und den Hörer quasi in die Ewigkeit geleiten... Das ideale Stück für eure nächste Nacht auf einer Burgruine.

Es folgt das genauso düstere und unglaublich emotional gehaltene Instrumentalstück "Silouans Song", dem das Booklet die Bemerkung "My soul yearns after the Lord..." ("Meine Seele sehnt sich nach dem Herrn") beifügt. Man schließe die Augen und empfinde die Sehnsucht mit.

"Magnificat" ist, wie einige vielleicht wissen, die berühmte Lobpreisung Gottes aus dem Munde der Maria ("Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter, denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut..."). Passend zu den vorhergehenden Stücken ist dieses reine Chorstück ebenfalls eine Art ruhige Meditation, die auch atmosphärisch in eine sehr ähnliche Richtung geht.

Bei der für Streicherorchester und Chor geschriebenen "Berliner Messe" geht es schließlich etwas mehr Richtung traditioneller sakraler Musik - in Bezug auf Länge, Instrumentierung und den wiederum lateinischen Text gibt es zwar Ähnlichkeiten zu "Te Deum", aber die dynamische Vielfalt und die emotionsbetonte Umsetzung des ersten Stückes fehlen. Trotzdem bildet die "Berliner Messe" einen schönen, "runden" Abschluss der CD und gehört für sich genommen wohl auch mit zu dem Besten, was die zeitgenössische klassische Kirchenmusik zu bieten hat.

Insgesamt eine wunderschöne CD, die ich jedem nur empfehlen kann, der etwas mit ernst gemeinter, emotionaler geistlicher Musik anfangen kann. Der mitunter hohe Preis der CD wird durch die schöne Aufmachung im Pappschuber, das ausführliche und mit vielen Bildern von den Aufnahmen gespickte Booklet und die überragende Qualität der Musik selber wieder wettgemacht. Definitiv eines der besten Werke dieses außergewöhnlichen Künstlers, und definitiv eine meiner Lieblings-CDs.

Patrick Maiwald, 19. 08. 2004

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