Zugegeben: Von Zeit zu Zeit seh ich ne Oper gerne.

Das Zusammenspiel von Musik, Gesang, Schauspiel, Bühnenbild und Regie bietet bisweilen dichte, in sich geschlossene Gesamtkunstwerke, bisweilen Denkanstöße, bisweilen Gelegenheit zum Kopfschütteln – immer aber das Gefühl, einem Ereignis beigewohnt zu haben, das über den normalen Alltag hinaus geht.

Dass es auch anders geht, dass man eine Oper so inszenieren kann, dass sich am Ende nur noch die Frage "Kunst oder Kacke" stellt, das habe ich in der vergangenen Woche in Berlins Komischer Oper erfahren müssen.

Gut... Wir waren vorgewarnt. Hans Neuenfels – der Name steht für den medienwirksamsten Opernskandal des vergangenen Jahres. Er steht für die abgeschlagenen Köpfe von Buddha, Jesus und Mohammed, er steht für die Absetzung des "Idomeneo" und eine verquaste Diskussion über die Grenzen kultureller Freiheit und über die Tiefe von Kniefällen, die man vor realen oder vermeintlichen Islamisten machen darf/sollte/muss. Aber in den "Idomeneo" sind wir ja auch gar nicht gegangen.

Auf dem Programm stand die "Zauberflöte" und diese sollte doch eigentlich so eines von diesen "Nichtsfalschmachstücken" sein: Jeder kennt die Handlung, viele Melodien kann man mitsingen, die Qualität der Komposition steht außer Frage und die Diskussion um den freimaurerischen Hintergrund sollte inzwischen ausreichend geführt worden sein. Dachten wir...

Aber es kam anders.

Schon am Eingang wurde ein voluminöses Textheft verteilt. Ein Heft, dass zwar nicht die Text der Arien, Rezitative und Chöre enthielt, wohl aber den Text, den Neuenfels meinte, dem Publikum als zusätzlichen, erläuternden Text vorsetzen zu dürfen. Denn – so Neuenfels – die ursprüngliche "Zauberflöte" versteht keiner mehr, die Sänger sind mit ihren Gesangspassagen ausreichend beschäftigt und so schreit alles nach einer Gruppe von 2 Erzählern und einer Erzählerin, die die Handlung erläutern und dem Publikum erklären, was selbiges offensichtlich nicht zu verstehen in der Lage ist.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf: Die erste Szene – schlicht verhohnepipelt. Denn der erstaunte Hörer erfährt, dass die Sänger Angst vor ihren Arien haben (kann ich verstehen – das passiert, wenn man zweitklassige Sänger engagiert), die Erzählerin Angst vor dem Geschlechtsverkehr, der Erzähler Angst vor der Fahrprüfung und überhaupt jeder vor allem. Außerdem wird berichtet, dass Tamino Bettnässer war und Paranoiker ist (mit seiner Bühnenkleidung hätte ich eher auf Dorftrottel getippt) und dass Papageno 5x täglich onaniert. Dass mit der listigen Schlage, um deren Tötung es ja schließlich geht, offensichtlich das Genital Taminos gemeint ist – die Schlange stirbt bekanntlich durch die Macht der drei Damen, was in dieser Inszenierung dem Begriff "Kastrationsangst" eine neue, sehr bizarre Note hinzufügt – deutet den cantus firmus der gesamten Inszenierung an: Wenn ich vorher nicht wusste, was eine Sexualneurose ist, weiß ich es jetzt.

Denn es ging ja noch weiter: Ständig packte sich irgendwer in den Schritt, es gibt eine lange, durch und durch rassistische Diskussion über Monostatos, der als Schwarzer ja alle Frauen bekommt, weil er länger kann und den größeren Schwanz hat (sic!). Dies führt dann dazu, dass sich einer der Erzähler zuerst auszieht und dann mit Schuhcreme schwarz färbt wofür er von der Erzählerin deutlich als "Nigger" beschimpft wird – wie gesagt: Hätte ich es nicht gesehen, hätte ich es nicht geglaubt.

Es mag sein, dass das irgendwen auf irgendeine Weise hintergründig irgendwie kritisiert und dass es insofern ein essentieller Beitrag zur politischen Kultur unseres Landes ist. Realistischer aber scheint mir der Gedanke zu sein, dass der Autor schlicht nicht alle Tassen im Schrank hat. Denn wer die Zauberflöte, die ich bislang in aller Unschuld für ein Musikinstrument gehalten habe, als ca. 1,20 Meter langen Penis präsentiert, hat wirklich eine merkwürdige Fantasie. Und ob ich die Begriffe "Flöte spielen" oder "blasen" jemals wieder unvoreingenommen werde verwenden können, weiß ich heute noch nicht.

Und auch abseits dieser sexualneurotischen Verwirrungen wurde einiges geboten: Der Chor erschien wechselnd in BDM-Kluft oder in Rüstungen, die an imperiale Sturmtruppen aus "Star Wars" erinnerten (leider ohne Helme – das hätte uns den Gesang erspart), Sarastro saß im Rollstuhl und packte sich in der Schlussszene ans Herz um dann sang- und klanglos zu verscheiden (kann ich verstehen, danach war mir auch), die drei Knaben erschienen mit langen Bärten und als Marionetten auf der Bühne, und die Königin der Nacht zerlegte sich in ihrer berühmten Arie kurzerhand selber – nach und nach schmiss sie ihre Haare, eine Hand, ein Bein und ihr Herz (das allerdings normalerweise links sitzt – aber wer wird schon so kleinlich sein?) auf die Bühne. Oper ist, wenn man ohne Herz nicht stirbt, sondern singt. Dies immerhin habe ich gelernt.

Und natürlich kann der Regisseur alles erklären: Die zerlegte Königin der Nacht etwa stellt einen Protest gegen Mozart Komposition, die die Sängerin angeblich auf reine Technik beschränkt, dar. Logisch, dass Technik kaputt geht, kaputt gehen muss. Der Regisseur hat vermutlich zerplatzende Glühbirnen oder missliebige PCs vor Augen. Wenn dem allerdings so ist, wäre es sinnvoll gewesen, die Königin der Nacht am Ende nicht in die Hölle fahren zu lassen, sondern in eine Schrottpresse zu schmeißen. Und die ganze Inszenierung direkt hinterher.

Schade eigentlich. Denn Neuenfels kann auch anders, wie wir zwei Tage später in einer durch und durch packenden Inszenierung von Verdis "Macht des Schicksals" erleben durften. Hier freilich blieb die Erkenntnis, einer Sammlung von Mätzchen und Albernheiten beigewohnt zu haben, bei der einzig die Musik und der Gesang störten.

Wie gesagt: Schade eigentlich…

Heiko Ehrhardt


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