Ich hatte einen Traum:

Es war eine von den Nächten, die dunkler als dunkel sind, eine von den Nächten, in denen klar ist, dass der Barkeeper der letzte Mensch ist, der mit einem ausharrt, eine von den Nächten, in denen alle Stühle auf den Tischen stehen, alle Menschen gegangen sind – an so einen Ort kommt man ohnehin nie in Begleitung, eine von den Nächten, in denen der Blues aus allen Poren tropft, eine von den Nächten, die sich ins Gehirn einbrennen, weil sie etwas Besonderes darstellen.
Natürlich: Ein leichter Nebel liegt über dieser Nacht.
Eine ganz eigentümliche Mischung aus Schweiß, Tränen, Alkohol und Ruß, eine Mischung, die den Blues treibt und zugleich deutlich macht, dass man vielleicht nicht mehr so ganz unter den Lebenden ist. Aber immerhin gelebt hat – und wer kann das noch von sich sagen?
Eine von den Nächten, die ohne Wort auskommt.

Ein Blick zum Barkeeper.
Der Talisker fließt immer noch… Lange wird er nicht mehr halten.

Was soll's? Der Whiskeyführer empfiehlt ohnehin, nachher nichts mehr zu trinken, um den Geschmack nicht zu töten. Und daran wollen wir uns doch halten, oder?

Noch ein Blick…

In einer Welt aus Plastik und Kommerz, einer Welt, in der Gott tot, Liebe eine Lüge und Sex belanglos ist, in einer solchen Welt ist es gut, zumindest einen guten Barkeeper zu kennen.

Verstehen in den Augen.
Wortlos.
Aber tief.
"Spiel es noch einmal…" – dies könnten die Worte sein, gäbe es in dieser Nacht noch Worte.

Und dann läuft es…
Bohren und der Club of Gore. Ultralangsame, düstere, traurige Elektronikschwaden. Und darüber ein einsam klagendes Saxophon, das mehr von Verlust, Tod und Sehnsucht weiß als der gesamte Hollywoodausstoß eines Jahres (Schmachtfetzen wie Titanic eingeschlossen). Wer solche Musik macht, der reißt seine Seele auf und lässt faszinierte Zuhörer daran teilhaben. Sollte Kunst nicht so sein? Zumindest ab und zu das Gefühl vermitteln, dass ein Zuhörer eine Art Vampir ist, der sich von der Seele des Künstlers ernährt?

Die Musik steht im Raum. Seltsame Klänge. Sie künden trotz aller Trauer vom Leben. Vielleicht kein angenehmes Leben, wohl aber ein Leben, das darum weiß, dass auch der Schmerz zum Leben hinzugehört. "Ich liebe Schmerzen…" – vielleicht nicht. Aber ich nehme sie als Teil des Lebens hin. Und lebe so intensiv.

Das Erwachen ist grausam.

Eingeschlafen bin ich - und das vor dem Fernseher.
Aus irgendeinem Grund läuft DSDS. Ein recht schmieriger Typ singt "Ev'rything I Do, I Do It for You". Schon bei Brian Adams ein widerlicher Schmachtfetzen. Hier weiß ich nicht, ob die Haare des Interpreten oder der Song schmieriger sind.
Nachher… Nachher überschlägt sich die Jury mit Schleim. Wer eigentlich erlaubt, dass solche Typen sich nicht nur zum Richter aufspielen, sondern außerdem noch Millionen von deutschen Kids mit ihrer Meinung verblöden? Wieso gibt es für Bohlen keinen Sticker der EU, der auf mögliche Gesundheitsgefährdung hinweist? Was ist nur los in dieser Welt? Und das Grauen ist noch nicht zuende…

Angekündigt ist Vanessa und sie meuchelt "Knockin' on Heaven's Door". Bringt dabei die Unverschämtheit zustande, dieses herausragende Produkt der Rockgeschichte der Dumpfdohle Mariah Carey zuzuschreiben. Keiner protestiert. Und ich beginne zu ahnen, dass Vanessa kein Spiegelbild hat. Denn ohne Seele geht das nicht.

Ich erhebe mich.
Schaffe es bis zur Toilette.
Und lasse mir DSDS noch einmal durch den Kopf gehen.

Heiko Ehrhardt


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