Diejenigen unter Euch, die ihr Fleisch noch beim Metzger abwiegen lassen, anstatt es in abgewogener und abgepackter Form im Supermarkt zu kaufen, kennen vermutlich die Standardfrage deutscher Metzgereifachverkäuferinnen in und auswendig: "Darf's ein bisschen mehr sein?"

Was nun an der Theke einer Metzgerei ein Schmunzeln, oder vielleicht sogar das behagliche Gefühl, von echten Menschen live bedient zu werden, erzeugt, nervt aber unendlich, wenn man es auf die Politik überträgt. Denn offensichtlich darf es dort eigentlich immer "ein bisschen mehr" sein. Zumindest dann, wenn es um die Füllung der eigenen Tasche geht, sind Politiker aller Couleur ungeheuer geschickt und in keiner Weise zurückhaltend.

Um deutlich zu machen, worum es geht: Diejenigen, die öffentlich "Wasser" predigen, haben offensichtlich das Gespür für die Stimmung im Volk soweit bewahrt, dass sie wissen, dass es falsch wäre, nun - nach der Predigt des Wassers - in aller Öffentlichkeit Wein zu trinken. Da Wein aber nun mal besser schmeckt und bekömmlicher ist als Wasser, wird er halt heimlich getrunken.

Und nicht nur Wein... Denn dem Vernehmen nach - und bisweilen kommt es ja vor, dass das Heimliche bekannt wird - gibt es durchaus auch Experten, die sich an Sekt oder gar Champagner delektieren, und mit einfachem Wein nicht zufrieden sind. Und immer dann, wenn auf die eine oder andere Weise bekannt wird, wer bei wem wie viel zu seinem Abgeordnetengehalt hinzu verdient, kocht die Volksseele ein paar Tage lang. Dann folgen halbgare Dementi, beleidigte Kommentare und schließlich kommod abgefederte Rücktritte. Und in der Konsequenz wächst dann die Politikverdrossenheit, und die Partei der Nichtwähler freut sich ebenso über Zulauf wie dubiose rechte Gruppierungen. Traurig wird es vor allem dann, wenn deutlich wird, wie wenig Einsichtvermögen da ist und für wie dumm manche PolitikerInnen ihre WählerInnen offensichtlich halten.

Ein Beispiel gefällig? - Die CDU-Politikerin Hildegard Müller, die bislang vornehmlich dadurch auffiel, dass sie gar nicht auffiel (und dass obwohl sie im Präsidium besagter Partei sitzt, und als "enge Vertraute" von Parteichefin Merkel so ungefähr für alle Ministerien gehandelt wird, die ein Schattenkabinett zu vergeben hat) und die vermutlich noch auf ihrem Sterbebett als "ehemalige Vorsitzende der Jungen Union" firmieren wird, antwortete am vergangenen Freitag (07. Januar 2005) in der "Wetzlarer Neuen Zeitung" auf die Frage, ob es nicht besser sei, ähnlich wie manche andere Abgeordnete für die Dauer ihres Mandates zwar ihren Arbeitsplatz bei der Dresdner Bank zu behalten, aber kein Gehalt zu beziehen, mit den Worten, dass es "auf den jeweiligen Fall ankäme". Denn sie sei ja Abteilungsleiterin und somit ihr weiterer Aufstieg vorgeprägt gewesen, und in dem Fall gäbe es natürlich ein Interesse den Kontakt zu halten. Was im Klartext nicht mehr, aber auch nicht weniger bedeutet als die lateinische Wahrheit: "Quod licet Jovi non licet bovi" ("Was Jupiter darf, darf der Bauer noch lange nicht"). Oder anders: Wer kauft schon den Parkwächter, wenn er den Geschäftsführer haben kann ? Dass der Interviewer bei dieser Aussage nicht deutlich nachgehakt hat, werde ich vermutlich nie verstehen.

Und noch merkwürdiger wird die Argumentation dann, wenn derselbe Interviewer in seinem Leitartikel schreibt, dass Nebentätigkeiten von Politikern vollkommen in Ordnung seien, solange sie nur ordnungsgemäß angegeben und versteuert würden. Denn immerhin gehe es ja um den Praxisbezug der Politik.

Spätestens hier hakt alles aus. Praxisbezug? Leben wir noch in der Gedankenblase der 68er, die dachten, dass ein Fabrikarbeiter wenn nicht der bessere Mensch, so doch der bessere Revolutionär sei, und die deshalb praktische Erfahrungen gerade für Akademiker forderten? Wieso hat ein Mensch, der in der virtuellen Realität gegenwärtiger Berufspolitik lebt, einen höheren Praxisbezug, wenn er neben dieser virtuellen Realität noch die ebenso virtuelle Realität der Hochfinanz wahrnimmt ? Da addiert sich doch allenfalls eine Realitätsblase zur anderen - mehr nicht. Oder noch anders gefragt: Wie eigentlich können die Herren Volksvertreter bei ihrer - laut eigener Aussage - 70-Stunden-Woche noch irgendwo anders qualifiziert arbeiten ? Wofür eigentlich hat Laurenz Meyer sein Geld von RWE bekommen ? Der Stromhersteller jedenfalls konnte es nicht so genau sagen und so liegt der Verdacht nahe, dass es nicht für Arbeit war. Und Meyer ist leider kein Einzelfall.

Der Eindruck bleibt daher hängen, dass das allgegenwärtige Lobbywesen den Verkauf der Politik an die Interessen der jeweiligen Käufer darstellt. Ein Eindruck, der dadurch gestützt wird, dass Deutschland im internationalen Korruptionsindex längst auf einen ähnlichen Platz abgerutscht ist wie in der PISA-Studie. Eines freilich möchte ich - bei aller Polemik - zugestehen: Gemessen an den, allerdings unmoralisch hohen, Gehältern im Management verdienen Politiker zu wenig. Auf diesem Weg wird es immer nur B- oder C-Klasse Politiker geben. Denn wer außer frustrierten Lehrern wechselt bei dem Gehalt und dem Image überhaupt noch in die Politik? Eine Republik jedenfalls, in der der Friseur der CDU-Vorsitzenden deutlich mehr verdient als seine Kundin (obwohl ich speziell im Falle Merkel nicht verstehe, wofür), ist irgendwo nicht in Ordnung.

Daher ein Vorschlag zur Güte: Da unser Parlament ohnehin entschieden zu viele Abgeordnete hat (mehr Abgeordnete leisten sich nur die Volksrepublik China, diese mit einem gewissen Recht, und die Steinzeitkommunisten in Nordkorea), wäre es sinnvoll, einfach mal die Hälfte oder besser noch zwei Drittel dieser Abgeordneten nach Hause zu schicken und den Verbleibenden das Gehalt entsprechend zu erhöhen.

Bei gleichzeitigem strikten Verbot jeglicher Annahme irgendeiner Form von Geld neben den Bezügen, natürlich.

Heiko Ehrhardt