Es war beileibe nicht der schlechteste der deutschen Dichter, der sich der deutschen Frage nur bei Nacht nähern wollte, und den diese Frage dann um den Schlaf brachte. Von daher stelle ich mich gerne in diese Tradition und denke des Nachts über Deutschland nach - auch mir raubt es den Schlaf, so ich dieses tue.
Und doch ist es nötig. Denn die Frage nach dem, ob ein deutscher Patriotismus überhaupt möglich und nötig ist und wie dieser dann, bejaht man die beiden ersten Fragen grundsätzlich, aussehen kann, schwärt - einer unheilvollen Wunde gleich - schon des längeren. Und spätestens seitdem eine "große Volkspartei" diese Frage zum heimlichen Thema ihres letzten Parteitages (und womöglich zum unheimlichen Thema des kommenden Wahlkampfes?) erhoben hat, kann man dieser Frage nicht mehr aus dem Weg gehen, ist man gezwungen, auf die eine oder andere Weise Stellung zu beziehen.
Hier daher meine ganz persönliche, höchst subjektive Stellungnahme: Zunächst befremdet mich der Ausdruck "Patriotismus". Denn selbiger meint laut Duden schlicht "Vaterlandsliebe" - ein Ausdruck, der in doppelter Hinsicht nach Hinterfragung förmlich schreit: Geht es wirklich an, von "Vaterland" zu reden? Und kann man ein derartiges Gedankenkonstrukt denn wirklich "lieben"?
Denn "Vaterland"... - es klingt maskulin, patriarchalisch, prä-emanzipatorisch, unzeitgemäß. Nun mag man mit einem gewissen Recht sagen, dass es schlicht noch kein besseres Wort gibt - und doch missfällt mir der Ausdruck ob seiner Konnotationen gewaltig. Und "Liebe"? Ich liebe meine Frau, meine Kinder, meine Eltern, meine Geschwister, weitere Verwandte und eine Reihe guter Freunde - aber eine abstrakte Idee? Oder gar ein Gebilde wie ein Vaterland, das nicht einmal den Rang einer abstrakten Idee erreichen kann (dafür ist es denn doch zu konkret)?
Abseits von diesen Spitzfindigkeiten allerdings kommen dann die wirklich
wichtigen Fragen auf:
Was ist denn eigentlich dieses Deutschland, von dem alle reden?
Meint "Deutschland" eine geographische Größe?
Oder eine ideelle?
Ist der deutsche Sprachraum gemeint?
Oder ein Deutschland in irgendwelchen vergangenen oder zukünftigen
Größen?
- Einigen wir uns der Einfachheit halber auf das historisch vorfindliche
Gebilde, dass sich derzeit "BRD" nennt, kommen direkt die nächsten
Fragen auf:
Wer gehört warum zu diesem Gebilde?
Von wem eigentlich kann man "Patriotismus" legitim verlangen?
- Gehen wir einmal davon aus, dass der Gedanke einer "deutschen" oder gar
"arischen" Rasse auf den historischen Müllhaufen gehört, dann bieten
sich folgende Antworten an:
- Die, die deutsch sprechen? Dies würde zwar Österreicher und Schweizer
kontrafaktisch einschließen, die dänischsprechende, gleichwohl zu
Deutschland gehörende Minderheit in Schleswig-Holstein aber ebenso wie
manche andere Gruppe ausschließen. Von den Problemen diverser Dialekte
einmal ganz zu schweigen...
- Die, die nach dem antiquierten und wirklich fragwürdigen deutschen
Staatsbürgerrecht "Deutsche"
sind? Dies wiederum schließt zwar gemäß eine Reihe von
Russlanddeutschen, die des Deutschen kaum mächtig und kaum integrierbar
sind, ein - einen guten Freund und seine in Deutschland geborenen Kinder
allerdings aus. Denn dieser hat die holländische Staatsangehörigkeit nie
abgelegt und das obwohl er noch keinen Tag seines Lebens in Holland
gelebt hat.
- Die, die in den Grenzen der gegenwärtigen BRD dauerhaft wohnen ? Von
denen kann man zwar mit Fug und Recht die Akzeptanz der Verfassung und
das Erlernen der deutschen Sprache fordern - aber gewiss kann man von
Menschen divergenter Provenienz nicht verlangen, sich als "Deutsche" zu
fühlen oder gar "Patrioten" zu sein. Wer dies anders sieht, möge sich
daran erinnern lassen, dass es auch Deutsche im Ausland gab und immer
noch gibt, die sich zunächst und vor allem als "Deutsche" fühlten und
das obwohl sie zum Teil über Jahrhunderte in Siebenbürgen oder im
Wolgagebiet gewohnt haben. Übrigens hat jede mir bekannte
Bundesregierung die Minderheitenrechte dieser Deutschen im Ausland immer
wieder verteidigt - wieso also sollte man diese Rechte z.B. in
Deutschland lebenden Türken bestreiten?
Von daher ist die Frage nach einem deutschen Patriotismus nicht so einfach zu beantworten, wie es sich manche machen wollen.
Versuchen wir es daher einmal anders herum: "Deutsch sein" wird dadurch bestimmt, dass man im Land wohnt und die Werte der Verfassung nicht nur akzeptiert, sondern im Zweifelsfall aktiv verteidigt. Eine Definition, die so schlecht nicht ist. Denn immerhin ist die deutsche Verfassung so geartet, dass man mit einem gewissen Recht nicht nur froh sein kann, in Deutschland zu leben, sondern sogar stolz darauf sein kann, dass sich ein Volk eine derartige Verfassung gegeben hat.
Freilich hat diese Definition einen beträchtliche Haken: Denn gerade die, die am lautesten von "Patriotismus" reden und selbigen vehement einfordern, haben oft ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur Verfassung. Oder wie sonst ist es erklärbar, dass ein rechtskonservatives CDU-Mitglied, das sich "an der Basis" einer breiten Unterstützung gewiss ist, einen EU-Kommissar, der - demokratisch legitimiert und im Rahmen sowohl der deutschen als auch der europäischen Verfassung - die Beitrittsverhandlungen der Türkei auf Seiten der EU führt, wegen "Hochverrats" anklagen will ? So geschehen im "Wetzlarer Kurier" vor einigen Monaten.
Merke: Es gibt Gründe, dieses Land und vor allem seine Verfassung positiv zu würdigen. Meinethalben auch "stolz" darauf zu sein. Doch habe ich meine Zweifel, dass ich hier dasselbe meine wie die, die momentan "Patriotismus" fordern.
Heiko Ehrhardt