Jetzt ist es passiert...

Jetzt verteidige ich eine Frau, die mir eigentlich vollkommen unsympathisch ist, und deren Politik ich in der Regel nicht verteidigen würde. Aber da, wo noch die primitivsten Regeln der Fairness spielend unterboten werden, da kann ich mir einen Kommentar zum Verfall politischer Kultur einfach nicht verkneifen.

Fangen wir ganz freundlich an: Eigentlich ist Baden-Württemberg ein schönes Land, ein "Musterländle" gar. Auch wenn es schon Jahre her ist, dass ich dort gewohnt habe, so bleiben mir doch freundliche Menschen, gutes Essen, guter Wein, gutes Wetter, eine sehr gut geführte Universität und gepflegte alte Städte in andauernder und guter Erinnerung. Und nicht nur subjektiv gibt es gute Gründe, Baden-Württemberg für eine der besseren Adressen unter den Bundesländern zu halten: Sei es Arbeitslosigkeit, Kriminalität, PISA oder was auch immer - immer ist Baden-Württemberg unter den besser gestellten Bundesländern zu finden.

Klar, dass jede(r) so ein Land gerne regieren möchte. Klar auch, dass in einem Land, das solche Werte vorweisen kann, die Opposition zunächst einmal schlechte Karten hat - in diesem Fall ist sie weitgehend beschränkt auf eine jugendlich-dynamische Vorsitzende, deren hervorstechendes Markenzeichen ein recht schweres Motorrad ist, mit dem sie in ihrer Freizeit gerne herumfährt. Es sei ihr gegönnt... Eigentlich könnten also alle munter und zufrieden sein.

Doch was macht man, wenn man keinen ernsthaften Gegner mehr hat? Früher oder später fängt man an, sich selbst in die Fresse zu hauen - zumindest dann, wenn man auf Kampf angelegt ist und Frieden eher misstrauisch beäugt. Kommen noch die seit Alexander dem Großen beliebten Diadochenkämpfe hinzu (irgendwie schafft es kaum ein Politiker, kaum ein Machthaber, beizeiten abzutreten und seine Nachfolge sinnvoll zu regeln), dann kann man nur noch staunenden Auges miterleben, dass zum Verfall von politischer Kultur nicht einmal ein Gegner nötig sein muss.

Aktueller Fall: Nach dem mehr oder weniger unfein erzwungenen Rücktritt von Erwin Teufel gibt es einen Streit um seine Nachfolge, der mit Methoden ausgefochten wird, die - wäre es nicht so ernst - einfach lächerlich wären. So freilich sind sie peinlich bis zum Abwinken.

Worum geht es genau?

Kultusministerin Annette Schavan macht sich offenbar schon längerem Hoffnungen, als erste CDU-Frau ein Bundesland zu regieren. Nun ist es gewiss begrüßenswert, wenn derartige Formen von Gleichberechtigung auch in einer Partei ankommen, deren Vorsitzende bisweilen immer noch als "das Mädchen" bezeichnet wird, und die sich in der Vergangenheit nicht gerade durch die Förderung von Frauen hervorgetan hat. Und da Frau Schavan immerhin das christliche Abendland (oder zumindest die SchülerInnen desselben) vor der wirklich schlimmen Gefahr des Untergangs durch "islamistische Kopftücher" (was eigentlich genau sind diese ? - Naiv, wie ich bin, bin ich bislang davon ausgegangen, dass ein Kopftuch aus Baumwolle, Seide oder meinethalben auch Leinen, nicht aber aus Islamismus hergestellt wird) bewahrt hat, hat sie ihren Anspruch auf Führung eines Bundeslandes hinreichend bewiesen. Dass sie darüber hinaus gern gesehene Rednerin auf christlichen Kongressen ist, spricht in meinen Augen auch nicht unbedingt gegen sie - also: Warum nicht ?

Nun...
Ganz einfach: Es gibt auch Männer, die das Amt haben wollen. Und die kämpfen mit allen Mitteln - auch unter der, in der Politik ohnehin eher niedrig angesetzten, Gürtellinie. Konkret: Frau Schavan, so heißt es, ist über 50, unverheiratet und beim Spaziergang mit Frauen gesehen worden!!!

Ja, tatsächlich. Und das macht sie in den Augen mancher Menschen logisch stringent zur Lesbe. Wer es nicht glaubt: Diese Argumentation wurde in der vergangenen Woche tatsächlich laut. Einmal abgesehen davon, dass ich partout nicht einzusehen vermag, welchen Zusammenhang es zwischen der sexuellen Ausrichtung eines Menschen und seiner Arbeit als Politiker gibt (fragt mal in Berlin - soweit ich sehe, hat die Homosexualität von Klaus Wowereit der Stadt weder erkennbar genutzt noch erkennbar geschadet), ist ein derart perfides Streuen von Gerüchten einfach nur ekelhaft.

Es bleibt zu hoffen, dass die betreffenden Menschen die Kulturtechnik der Entschuldigung noch nicht verlernt haben. Sonst sehe ich für politische Kultur in diesem Land endgültig schwarz.
Obwohl: Es geht immer noch schlimmer... Ich warte auf die ersten Photos, auf denen Frau Schavan mit Kopftuch zu sehen ist. Spätestens dann melde ich mich wieder...

Heiko Ehrhardt