Es gibt Texte, die enden anders, als es beabsichtigt war.
Dieser Text gehört dazu.

Eigentlich wollte ich ein paar Bemerkungen über den Müll, der tagtäglich via t-online auf meinen Monitor gekübelt wird, loslassen: Übelbock oder wie der heißt bei der Bundeswehr, Yvonne Caterfield in den charts, Sara Connor in Umständen, Michaela Schaffrath im Evakostüm, Dieter Bohlen auf der Buchmesse und die Intelligenz auf der Flucht.

Doch dann dachte ich, daß es eigentlich keinen Spaß macht, die, die ohnehin scheiße sind, auch noch zu verarschen - an den Früchten werdet ihr sie erkennen und das - so hoffe ich - recht bald.

Besser als über die Dunkelheit zu schimpfen ist es allemal, ein Licht anzuzünden, so dachte ich mir und so kam ich zu einer Hommage an einen der wenigen echten Künstler, die unbeirrbar ihren Weg gehen und sich dabei weder den Verstand noch das Herz umnebeln ließen.

Bob Dylan also...

Nun - Böses kann man auch über ihn genug sagen. Er ist weder ein begnadeter Sänger noch ein irgendwie brauchbarer Gitarrist, sein Harmonikaspiel ist eher mittelmäßig, manche seine Konzerte sind pure Publikumsverarsche und er hat eine erstaunlich lange Liste an wirklich mißratenen Songs und LP`s vorzuweisen. Wäre man gehässig, könnte man sagen, daß er ähnlich viel Schrott geschrieben hat, wie z.B. Dieter Bohlen - allerdings muß man dann auch postwendend hinterherschieben, daß da, wo Herr Bohlen bis heute noch nicht einen Song fabriziert hat, dessen Titel man auch nur behalten müßte, Bob Dylan eine faszinierend lange Liste an wirklich überragend guten Songs geschrieben hat, Songs, die manchen groben Unfug vergessen lassen.

Natürlich war manches grober Unfug: Der Film "Renaldo und Clara" etwa, der neben Syberbergs durch und durch merkwürdigem Hitler-Film das unverständlichste Stück Kino war, das zu sehen ich je das zweifelhafte Vergnügen hatte. Oder auch die von den Medien bejubelte "Unplugged-CD"...
Was denken die Hirnbeulen von MTV eigentlich, macht Herr Dylan für Musik, wenn er einmal nicht unplugged auftritt ? Grindcore ? EBM ? Electronic Ambient ? Oder was ? Eine unplugged CD von Dylan ist so unnötig wie ein Maßschneider in einer Nudistenkompanie.
Oder auch der Mitschnitt "Live at Budokan" der derart überladen wirkt, daß hardcore-Dylanfans seinerzeit ernsthaft darüber nachdachten, ob der Meister bei seinem schweren Motorradunfall Anfang der 70er Jahre nicht besser die "Great Rock`n´Roll Band in the Sky" verstärkt, und auf diesem Wege zur Legende geworden wäre. Und dann noch seine im Nachhinein eher komische christliche Phase, in der der gebürtige Jude Dylan plötzlich meinte, amerikanische Fernsehprediger rechts überholen zu müssen - ein Irrtum freilich, den er selbst mit gallenbitteren aber durchaus nicht unfrommen Songs auf der LP "Infidels" zu korrigieren wußte.

Wie gesagt - der Merkwürdigkeiten wird man genug finden.

Daneben freilich stehen Perlen, wie man sie in dieser Häufung kaum ein zweites Mal hören wird: Der "Wedding Song" etwa - ein formal simples Liebeslied, das freilich eine Intensität besitzt wie wenige Liebeslieder sonst. Oder "Desolation Row", das mit der Textzeile "They`re selling postcards of their hanging" beginnt, einem Satz, der dem kommenden Wahnsinn den Weg weist. Oder "Love Sick", ein durch und durch nihilistisches Stück, das eine Atmosphäre erzeugt, die so düster ist, das Nico sie nicht besser hinbekommen hätte (und an der Sophor Aeternus z.B. kläglich gescheitert wäre). Und die Reihe ließe sich nahezu beliebig verlängern - seine Kreativität ist zwar sehr unstet, aber dann, wenn sie hervorbricht, gibt es wenig bessere Künstler auf diesem Planeten (obwohl Van Morrison das Kunststück schafft, nahezu durchgehend auf ähnlich hohem Niveau zu arbeiten).

Und daß Dylan seit Jahren auf "Neverending Tournee" ist, einer Tournee, die vermutlich erst mit dem Tod enden wird, und die ihn als würdigen Erben seines Idols Woody Guthrie zeigt, unterstreicht noch den Eindruck, daß da jemand ist, den Trends, Styling, Hitparaden und finanzieller Erfolg längst nicht mehr interessieren, weil er an einer ganz eigenen Vision von Kunst arbeitet: Musik als Mittel des Überlebens und als Medium, das die Persönlichkeit des Künstlers in all ihren Facetten nach außen trägt.

Daß schließlich Dylans Sohn Jakob von der gewiß nicht schlechten Debut-CD seiner Band "Wallflowers" auf einen Schlag mehr Exemplare verkaufte, als sein Vater in 20 Jahren zusammen, mag man als Indiz dafür deuten, wie schlecht doch unsere Welt ist.
Oder wie gut... Denn solange es noch Menschen gibt, denen ihre Musik wichtiger ist als jeder vordergründige Erfolg, gibt es vielleicht noch sowas wie echte Hoffnung. Ich jedenfalls habe je länger je mehr den Eindruck, daß Dylan nicht mehr am Erfolg im hier und jetzt arbeitet, sondern daran, etwas bleibend Gültiges zu schaffen: Sich selbst als Gesamtkunstwerk, das einen Menschen in all seinen Facetten zeigt, den guten wie den schlechten, den genialen wie den banalen. Vielleicht gibt es Kunstformen, in denen das einfacher und besser geht, vielleicht ist es ein vermessener oder schlicht nerviger Anspruch - aber es ist einer.
Und wer hat das noch: Anspruch !

Und deshalb bin ich froh, daß da, wo manche Weggefährten Dylans (etwa der geniale Townes van Zandt) längst gestorben sind, unerträglich senil wirken (die Rolling Stones), auf peinlichen Revivalkonzerten den Kasper geben (vor wenigen Wochen ist auf dem Hessentag allen Ernstes Lynyrd Skynyrd aufgetreten - exakt jene Band, die Mitte der 70er Jahre mitsamt Flugzeug in einen Sumpf stürzte und seitdem nicht mehr gesehen ward...), oder schlicht vergessen wurden (Ray Davies - auch er ein Genie... Doch beim Begriff "Britpop" fällt den meisten Menschen heute nur noch "Oasis" ein. Schade !), ein Mann wie Dylan auch nach dem 60.Geburtstag noch weitaus lebendiger, kreativer und schräger wirkt als der gesammelte "Superstar-Zoo" zusammen.

notabene: Vor einigen Tagen habe ich gelesen, daß Dylans Leben verfilmt werden soll. Um den vielen verschiedenen Facetten seines Lebens gerecht zu werden, sollen bis zu 10 Schauspieler, darunter ein Kind, ein Farbiger und mehrere Frauen Dylan verkörpern.
Wem wird solche Ehre schon zuteil ?

Heiko Ehrhardt