Die Biologie lehrt uns, daß zu den wesentlichen Unterschieden zwischen Mensch und Tier die Fähigkeit des Menschen gehört, aufrecht zu gehen.

Die griechische Tragödie freilich lehrt uns im Rätsel der Sphinx, daß der Mensch ein Wesen ist, das am Morgen seines Lebens auf allen Vieren kriecht, am Mittag seines Lebens auf zwei Beinen geht, um am Abend seines Lebens schließlich mit Hilfe eines Stockes auf drei "Beinen" gehen zu müssen.

Dies Schicksal allerdings ist ein Schicksal, das moderne Medizin einem alten Menschen weitgehend ersparen kann.

Oder besser könnte...

Denn ginge es nach dem derzeitigen JU-Vorsitzenden Mißfelder, dann wäre das Gehen an einem Stock als vergleichbar billigeres Übel einer durchaus möglichen Hüftoperation vorzuziehen (was nebenbei gesagt medizinischer Unsinn ist, denn die Kosten einer OP sind deutlich niedriger als die Kosten einer womöglich dauerhaften Pflege).

Mißfelder nun hat mit dieser Überlegung einen Sturm der Entrüstung ebenso hervorgerufen wie klammheimliche Zustimmung wie eine Steigerung seiner persönlichen Popularität ins nahezu Unermeßliche. Geschickt das Sommerloch ausnutzend, hat er einen Bekanntheitsgrad erreicht, den sonst nur ganz wenige erreichen.

Wen stört es da noch, daß dieser Bekanntheitsgrad direkt proportional zu seiner Beliebtheit verläuft? Denn wie sagte schon Jürgen "Crash" Möllemann: "Auch eine schlechte Presse ist besser als gar keine Presse" - und dieses Motto scheint Mißfelder nahezu perfekt zu beherzigen.

Freilich stellt sich die Frage, wieso man sich mit ihm abgeben soll.
Den aufrechten Gang... - wer sich selbst zur Nutte der BILD-Zeitung macht, hat diesen längst verloren. Und das, ohne das Alter von 85 erreicht zu haben.

Jenseits seiner Person freilich gibt es zwei Probleme, die es zu klären gilt:
Zum einen die unverhohlene Chuzpe, mit der es in Deutschland offensichtlich möglich ist, menschenverachtende Äußerungen loszulassen, ohne daß es einen geschlossenen Boykott aller Medien, oder zumindest einen geschlossenen Aufschrei der politischen Klasse gibt. Irgendwie scheint es halt doch so zu sein, daß viele ihm recht geben - nicht in der Wortwahl, wohl aber in der Tendenz.
Und deshalb ist es notwendig, daß wir uns klar machen, worum es geht: Darum, daß einer exakt definierbaren Gruppe von Menschen medizinisch mögliche Behandlung aus Kostengründen verweigert werden soll. Nichts anderes freilich ist die Definition von Menschenverachtung: Einer klar abgrenzbaren Gruppe von Menschen de facto menschliche Grundrechte abzusprechen.
Dreister hat dies selten jemand getan - und man hofft inständig, daß Mißfelder schlicht zu dumm ist, um zu verstehen, was er eigentlich getan hat.

Zum zweiten freilich steht die Frage im Raum, ob Mißfelders pubertäres Gelaber nicht das Präludium zu einem grundsätzlichen Verteilungskampf ist, einem Verteilungskampf, der seinen Grund in einem eklatanten Versagen der Politiker aller Parteien hat.

Denn selbst einem wohlwollenden Dummkopf sollte deutlich sein, daß es so mit der Rente nicht weitergehen kann.
Die Rente ist keinesfalls sicher.
Sie steht auf dem Boden eines gigantischen Betrugs, des Betruges, daß die, die heute einzahlen, eiens Tages auch adäquat ausbezahlt werden.

Dies freilich ist nicht der Fall.
Kann nicht der Fall sein, wenn man die demographische Entwicklung heranzieht.

Eine echte Reform des Rentenwesens, verbunden mit einer echten Reform der Pflegeversicherung, tut daher not.

Einzig sinnvoll und richtig wäre eine steuerfinanzierte Grundrente auf Sozialhilfeniveau, verbunden mit der geförderterten Möglichkeit privater Absicherung, und abgefedert mit einem Ausgleich für soziale Härten.

Auch dann wird es vermutlich Leute geben, die im Alter mögliche Operationen nicht mehr bezahlen können - aber man wird sagen können, daß sie gewußt haben, was sie taten, als sie nicht in eine Altersvorsoge investiert haben. Und bei vernünftiger Planung wäre auch dann die Möglichkeit gegeben, präventiv in Operationen zu investieren, um Pflegefälle zu vermeiden.

Mal abgesehen davon, daß die Menschenwürde vor allen Kostenargumenten stehen sollte - in einem reichen Land wie Deutschland zumal.

Trotzdem wäre alles andere als eine radikale Rentenreform Augenwischerei.
Selbige aber gebiert dumm-dreiste Scharlatane, die einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten.

Und ihr Name ist Mißfelder...

Heiko Ehrhardt