Der wahrhaft Wahnsinnige - so hat man es uns im Seelsorgekurs vermittelt - der wahrhaft Wahnsinnige hat keine Probleme mit der Realität, geht aber unentwegt davon aus, daß es die Realität ist, die Probleme mit ihm hat. Die Realitätswahrnehmung eines Wahnsinnigen ist derart verzerrt, daß es immer die Anderen sind, die Probleme haben oder machen, nicht jedoch der, der die Probleme wirklich hat.

Oder - mit einem wirklich abgeschmackten Witz ausgedrückt: "Was soll das heißen ein Autofahrer kommt entgegen ? Hunderte sind es !"

Nimmt man (und jetzt wird es bitterernst) dieses Kriterium ernst, dann kann zumindest ich mich des Eindruckes nicht erwehren, daß Deutschland von einer Riege von Menschen beherrscht wird, an deren Realitätswahrnehmung ich erhebliche Zweifel habe, Zweifel, die mich zu der Frage veranlassen, ob wir nicht inzwischen von Wahnsinnigen beherrscht werden ?

Gewiß - nicht die Form von Wahnsinn meine ich, die mit Kettensägen oder Pumpguns splattert, wohl aber die Form von Wahnsinn, die sich beharlich weigert, Realitäten anzuerkennen und darauf einigermaßen adäquat zu reagieren.

Das bislang letzte Beispiel haben wir in der vergangenen Woche präsentiert bekommen: Superminister Clement und sein unsäglicher Vorschlag, die Anzahl der Feiertage zu kürzen um so die Lohnnebenkosten zu senken um so die Arbeitslosigkeit zu senken.

Man fragt sich unwillkürlich, auf welchem Planeten dieser Herr lebt. Vermutlich auf einem, dessen Atmosphäre eine ungesunde Zusammensetzung hat. Und er ist nicht allein dort, denn alle, die denken, längere Lebensarbeitszeit und kürzerer Urlaub, längere Wochenarbeitszeit und weniger Feiertage würden das Problem der Arbeitslosigkeit lösen, dürften in seiner Nachbarschaft Tür an Tür wohnen.

Um es mit einem Beispiel zu sagen, daß so simpel ist, daß sogar Politiker es verstehen sollten: Stellen wir uns einen Betrieb vor. Dieser hat 400 Mitarbeiter. Jeder Mitarbeiter arbeitet im Schnitt 220 Tage im Jahr. Wenn nun jeder Mitarbeiter nach Abschaffung der Feiertage 230 Tage arbeitet, dann sind das rund 4,5 % Mehrarbeit, die bei gleichen Kosten geleistet wird (um genau zu sein: 92000 Arbeitstage statt 88000 Arbeitstage). Werden deshalb dann 4,5 % mehr Mitarbeiter eingestellt ? Doch nur dann, wenn es auch für 4,5 % Mitarbeiter Aufträge und damit Arbeit gibt. Wahrscheinlicher und den Gesetzen der globalisierten Wirtschaft folgend ist es doch logisch, daß eher 4,5 % (oder besser gleich eine runde Summe - 5 % oder 10 %) Arbeitsplätze eingespart werden. 4000 Arbeitstage im Jahr mehr sind rund 20 Stellen weniger.
Basta ! - so wird gerechnet.

Oder um es ein wenig abstrakter zu sagen: Das Problem hat zwei Seiten: Zum einen die realen Kosten einer Arbeitsstunde und zum anderen die Frage danach, ob überhaupt genug Arbeit da ist.

Im Moment wird nur an der einen Seite rumgedoktert.
Mit Rezepten, die samt und sonders aus Panik geboren zu sein scheinen. Eine Kürzung hier, eine Streichung da, Leistungsbeschränkungen für die Einen, keine Leistungserhöhungen für die Anderen - ein Konzept oder sowas wie ein wirklich innovativer Ansatz ist für mich nicht erkennbar. Der wirklich große Wurf, der darin bestünde, Renten-, Kranken- und Sozialversicherungen nicht mehr an den Faktor Arbeit zu knüpfen sondern an die jeweilige Person, die sich dann entscheiden muß, wie sie ihre gesamten Einkünfte für die soziale Sicherung einsetzt, ist soweit entfernt wie der nächste Wahlsieg der SPD.

Aber - wie gesagt - das ist nur die eine Seite.
Denn selbst wenn Arbeitnehmer in Deutschland überhaupt nicht mehr bezahlt würden, wäre noch nicht ausgemacht, ob es in bestimmten Branchen überhaupt noch ausreichend Arbeitsplätze gibt. Wenn man ehrlich ist (und Superminister Clement sollte dies als ehemaliger nordrheinwestfälischer Ministerpräsident eventuell mitbekommen haben...), dann gibt es ganze Branchen, die am Tropf der Subventionen hängen und ohne längst nicht mehr lebensfähig wären. So liegen seit mehr als einem Vierteljahrhundert auf jedem Arbeitsplatz im Bereich des Bergbaus Subventionen, die höher sind als der Jahresverdienst der im Bergbau Arbeitenden - ein Wahnsinn, den bislang noch keine Regierung gleich welcher Couleur ernsthaft angegangen ist. Und ähnliches ließe sich von einer Reihe anderer Branchen in abgemilderter Form ebenfalls sagen.

Macht man also einmal wirklich reinen Tisch, dann wird man feststellen, daß es im Bereich der produzierenden Industrie schlicht nicht mehr genug Arbeit gibt.

Eine Debatte darüber, ob nicht eine radikale Arbeitszeitverkürzung in vielen Branchen das einzig richtige Mittel wäre, täte gewiß Not.

Und noch etwas muß gesagt werden: Natürlich gibt es in Deutschland Arbeit genug. Und ich meine keine billig bezahlten "Mc. Jobs" im Dienstleistungssektor. Einkaufswagen bei ALDI zusammenschieben ist gewiß ehrenwerte Arbeit - aber nicht das, was als Allheilmittel anzustreben ist. Lehrer dagegen, Altenpfleger, Krankenschwestern, Sozialarbeiter oder auch im Umweltschutz tätige Menschen kann es eigentlich gar nicht genug geben. Gerichte sind wegen Personalmangel chronisch überlastet und die Anzahl der Überstunden, die auf einer durchschnittlichen Polizeiwache geschoben werden, sind Legion.

Klar - die Frage muß kommen: Wer soll das bezahlen ?

Aber darauf gleich die Gegenfrage: Was ist eigentlich besser: Arbeitslosigkeit finanzieren oder Arbeit ?

Laßt Euch mal was einfallen, Ihr Herren und Damen Regierung. Dann dürft Ihr auch wieder mit meinem Respekt rechnen.

Im Moment kann ich allerdings nur sagen: So nicht !

Wie wäre es daher mit etwas Gelassenheit dem Fremden gegenüber ?
Wenn Deutschland untergeht, dann gewiß nicht wegen eines Kopftuchs..

Heiko Ehrhardt