Eigentlich haben wir in Deutschland ja keine Probleme: Die Wirtschaft brummt, der Kanzler ist visionär- dynamisch, die Jugend hat klare, lebenswerte Visionen vor Augen, die sozialen System sind auf lange Zeit gesichert und die Arbeitslosigkeit tendiert gegen Null. Und sogar die Opposition arbeitet konstruktiv-kritisch mit.

Wenn also alle vorstellbaren Probleme derart gelöst sind, dann kann man sich über Unwichtigkeiten Gedanken machen.

Und genau dies geschieht gerade vor dem Bunderverfassungsgericht. Die Tatsache, daß eine Muslima, die auf dem Tragen eines Kopftuches bestand, nicht als Lehrerin in den Staatsdienst in Baden-Württemberg übernommen wurde, beschäftigt die deutsche Justiz schon geraume Zeit. Nun also muß Karlsruhe entscheiden.

Die Entscheidung freilich fällt nicht leicht, ist die Frage doch mit derart fundamentalen Assoziationen behaftet, daß es scheint, daß an dieser eher marginalen Frage eine wesentliche Weiche für die Zukunft unseres Staates gestellt wird.

Für die einen, etwa die grüne MDB Priska Hintz, ist das Kopftuch ein frauenfeindliches Symbol, dessen Duldung moslemischer Frauenunterdrückung Tor und Tür öffnen würde. Ein Argument, das in jedem Fall im Dialog mit Moslemen angesprochen werden muß - auch wenn viele betroffene Frauen das ganz anders sehen. Trotzdem ist unstrittig, daß die vom Grundgesetz gebotene Gleichheit von Mann und Frau auch von in Deutschland lebenden Moslems akzeptiert werden sollte (ein Argument allerdings, das man auch gut gegen die katholische Kirche wenden kann...).

Andere argumentieren mit dem Schreckensbild vom Ende des "christlichen Abendlandes" und wieder andere vertreten die scheinbar moderate Einstellung, daß Moslems schließlich "Gäste" seien, die sich den Gepflogenheiten des Gastlandes anzupassen haben (so, wie es Deutsche in Mallorca seit Jahren tun ???).

Zu diesen Argumenten freilich ist einiges anzumerken:

Das erste betrifft die Frage nach dem "christlichen Abendland".
Man muß nicht Theologie oder Geschichte studiert haben, um zu wissen, daß die wesentliche Dogmenentwicklung im Christentum aus den Gebieten der heutigen Türkei, des heutigen Syriens und aus Nordafrika stammen, aus Gegenden mithin, die heute moslemisches Kernland sind. Ebenso könnte man wissen, daß ein wesentlicher Teil des "christlichen Abendlandes" bis weit ins hohe Mittelalter hinein von moslemischen Mauren beherrscht wurde, und daß die christliche Reconquista in Spanien in kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht ein echter Rückschritt war. Und vollends absurd wird die Vorstellung eines christlichen Abendlandes dann, wenn man sich vor Augen hält, daß wesentliche und unverzichtbare Errungenschaften ("Liberte, Egalite, Fraternite") nicht mit, sondern gegen die Kirchen errungen wurden, und daß die Menschenrechte, auf die wir heute mit Recht stolz sind, in Europa noch eine recht kurze Geschichte haben. Die Idee eines "christlichen Abendlandes" erweist sich somit als der Versuch, eine Identität zu behaupten, die es de facto in der Form nie gegeben hat, und die deshalb auch nicht zerstört werden könnte.

Ebenso absurd ist die Vorstellung, daß die Moslems, um die es geht, im Grunde nur "Gäste" seien. Diese - mit Verlaub gesagt - schwachsinnige Vorstellung rührt unter anderem daher, daß es bislang keine einzige Regierung geschafft hat, ein einigermaßen zeitgemäßes Zuwanderungsgesetz zu formulieren. Kaputten Rechtspopulisten wie Roland Koch verdanken wir, daß es bis heute nicht möglich war, Realitäten als Realitäten nicht nur zu erkennen, sondern auch justiziabel zu machen. Ein realistischer Blick würde allerdings Folgendes zeigen: Die nicht gerade kleine Gruppe von 5 Millionen Moslems, meist türkischer Herkunft, stellt inzwischen die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland dar. Auch wenn diese Gruppe in sich recht unorganisiert und diffus ist, auch wenn sich immer wieder die Frage stellt, wer eigentlich mit welcher Vollmacht für wen spricht, und auch wenn die Mehrheit der Moslems ihren Glauben wenig ernsthafter lebt, als die große Mehrheit der christlichen Karteileichen, so ist es doch weltfremder Unsinn, zu glauben, daß es in absehbarer Zeit einmal keine Moslems mehr in Deutschland geben wird.

Es wäre viel, sehr viel gewonnen, wenn man die in Deutschland lebenden Moslems türkischer Herkunft nicht mehr mit dem antiquierten Begriff "Gastarbeiter" belegen würde. Zwar war das mal die ursprüngliche Absicht - aber das ist mehr als 40 Jahre her, die Realitäten haben sich nun einmal geändert und allmählich wäre es an der Zeit, in der Realität anzukommen und türkische Mitbürger als in Deutschland dauerhaft lebende Minderheit ernstzunehmen. Als Analogie bieten sich z.B. die deutschen Minderheiten in Rußland und Rumänien an, die seit Jahrhunderten dort leben - oder auch die Aktion Friedrichs des Großen, der im Raum Brandenburg verfolgte Hugenotten ansiedelte - auch die zunächst "nur" als Arbeitskräfte (Friedrich der Große hat auf die Vorwürfe gegen sein Vorgehen hin den berühmten Satz gesagt, daß in seinem Reich jeder "nach seiner farcon selig werden könne" - ein wenig von dieser Gelassenheit würde ich vielen Zeitgenossen wünschen). Und so, wie jede Bundesregierung mit Recht darauf gedrängt hat, daß deutschen Minderheiten im Ausland Minderheitenrechte und Brauchtumspflege zugestanden wurde, so sollte ein demokratisches Deutschland seinerseits den in Deutschland lebenden Minderheiten diese Rechte gewähren.

Und das ohne wenn und aber und allen Stammtischen zum Trotz !

Schließlich: Was ist so schlimm an einem Kopftuch ?
An konfessionellen Schulen wird bis heute in Ordenstracht unterrichtet und dies ohne größere Beschwerden. Meine erste Kindergärtnerin gehörte einem Diakonissenverband an und sie kam immer mit Häubchen in den Kindergarten. Erkennbar geschadet hat es mir nicht (Anmerkung der Red.: Na ja... ich glaube das erklärt einiges...). Erst dann, wenn zum Kopftuch eine radikale Gesinnung hinzutritt, wird es zum Problem.
Mir jedenfalls ist eine Lehrerin mit Kopftuch, die sich ans Curriculum hält, sympathischer, als ein Lehrer, der ein ungeklärtes Verhältnis zur SED hat oder der die Nazizeit verklärt. Beides hat es gegeben und gibt es mutmaßlich noch - nur eben ohne Kopftuch.

Wie wäre es daher mit etwas Gelassenheit dem Fremden gegenüber ?
Wenn Deutschland untergeht, dann gewiß nicht wegen eines Kopftuchs..

Heiko Ehrhardt