Um es vorweg zu sagen: Ich mag Leipzig. Die Stadt gefällt mir, wirklich. Nicht umsonst versuche ich Jahr für Jahr, zum WGT zu kommen, und auch sonst bin ich schon mehrfach in Leipzig gewesen.

Was allerdings spätestens seit der Entscheidung, Leipzig zum deutschen Olympiakandidaten für 2012 auszurufen, an Sätzen gesagt und an Trubel veranstaltet wird, läßt mich nur noch mit dem Kopf schütteln.

Von "gesamtdeutscher Aufgabe" ist die Rede, von "Spielen in der Stadt der Helden", von einem "gewaltigen nationalen Kraftakt" und auch von Milliardenbeträgen, die mich schwindeln lassen. Aktuell kolportierte Zahl für den Fall, daß Leipzig den Zuschlag bekäme: 2,6 Milliarden Euro. Und bereits eine gescheiterte Bewerbung schlägt mit mehr als 30 Millionen Euro an (Quelle: Jeweils die "Wetzlarer Neue Zeitung" vom 14.04.03)

Dafür dann das Versprechen, daß Stadt und Region einen enormen Schub nach vorne erhalten (von 15 - 20 Jahren ist die Rede) und auch das Versprechen, daß es so vielleicht keine blühenden Landschaften, wohl aber eine blühende Stadt geben wird.

Mal ganz offen und ehrlich gefragt:
Sind die, die mit solchen Zahlen jonglieren und die solche Versprechen in die Welt setzen, noch ganz bei Trost ? Haben wir in Deutschland wirklich keine anderen Probleme ?
Wer schreit bei derartiger verbaler Kraftmeierei eigentlich einmal gequält auf ?
Ist der Jahrhundert-Mega-Flop namens "EXPO 2000" wirklich schon vergessen ?
Sind alle derart olympiatrunken, daß ihnen der Blick für die Realität vollkommen abhanden gekommen ist ?

Natürlich: Wir haben eine Spaß- und Eventgesellschaft, in der Großereignisse nicht nur an ihren Kosten gemessen werden können.

Natürlich auch: Eine international so gut wie unbekannte Stadt namens Leipzig (fragt mal z.B. einen Engländer, Russen oder Amerikaner nach Leipzig - von den "Exoten" aus Afrika oder Asien ganz zu schweigen...) wäre auf einen Schlag eine Weltberühmtheit, wenn es gelänge, olympische Spiele dorthin zu holen.

ABER: Dies wird nicht gelingen.
Schon die Tatsache, daß Leipzig mit ca. 500.000 Einwohnern nur knapp die Hälfte der vom IOC vorgesehenen Minimalgröße von 1.000.000 Einwohnern hat, wird Leipzig (hoffentlich !) bereits die Vorauswahl im nächsten Jahr nicht überstehen lassen. Und auch die - ebenfalls vom IOC nach einigen leidvollen Erfahrungen - geforderte sinnvolle Weiterverwendung der Sportstätten ist in Leipzig wohl kaum möglich. Welcher viertklassige Verein braucht schon ein olympiataugliches Stadion ???

Und schon die bloße Nennung der Mitbewerber New York, Toronto, Rom, Rio de Janeiro (und evtl. noch weitere illustre Metropolen) sollte realistisch denkenden Menschen deutlich machen, wie sinnlos diese Kandidatur ist.

Von daher habe ich einen ganz anderen Verdacht: Die Wahl fiel vor allem deshalb auf Leipzig, weil die Kandidatur ohnehin keine Chance hat. Wenn man sowieso weiß, daß man verliert, dann spielt man nicht unbedingt seinen Top-Trumpf aus. Dann verlegt man sich auf symbolische Gesten, die beschwichtigen und vielleicht sogar dem an Plausibilität mangelnden Aufschwung Ost neuen Auftrieb geben. Oder man opfert einfach den einen oder anderen Bauern. Auf ähnlichem Wege ist vor Jahren auch Dagmar Schipanski zur Kandidatin um das Präsidentenamt geworden - hätte sie eine reelle Chance gehabt, hätte der männliche Teil der CDU sie schon verhindert bekommen, keine Sorge.

Von daher bleibt das schale Gefühl, daß es letztlich um Politik und nur um Politik gegangen ist. Die wirklichen Probleme in unserem Land sind einmal mehr mit Zuckerguß übertüncht worden - und alle sind irgendwie zufrieden. Es ist ja für einen Kanzler auch wesentlich einfacher, sich als Olympiamatadoren feiern zu lassen als z.B.: dringend notwendige Einschnitte beim Rentensystem voranzutreiben. Und einer Frankfurter Oberbürgermeisterin steht die Rolle der beleidigten Verschmähten scheinbar besser als die Rolle derjenigen, die die horrenden Subventionen etwa der Oper streichen läßt.

Fazit: Das Volk braucht Spiele, will man es ruhig halten.
Das wußten schon die Römer und seitdem haben sich vielleicht die Spiele geändert, aber weder der Wille des Volkes noch die Methoden der Herrscher. Schade eigentlich.

Mir bleibt nur übrig, eine uralte Parole hervorzukramen, eine Parole, die aus der Zeit der letzten gelungenen Olympiabewerbung stammt (München 1972 - u remember ? - Das Stadion möchte der FC Bayern bis heute liebend gerne los werden und demnächst steht es ja auch leer... Soviel zum Thema "sinnvolle Weiterverwendung"): Only pigs join the olympics !

Heiko Ehrhardt