Logisch - wer in Deutschland von Winter redet, redet von einem Märchen. Denn geben tut es ihn kaum noch. Ökoterroristen von der Güteklasse George W. Bushs sei Dank, daß das Klima inzwischen so aus dem Lot ist, daß ein Blick nach draußen nur noch höchst selten die Jahreszeit verrät.

Dies allein freilich ist noch nicht das Problem.
Wirklich problematisch ist der Zustand dieses Landes, ein Zustand, der es mir leicht macht, zu verstehen, daß der Winter dieses Land meidet.

Ein kurzer Blick zurück: 1989 die Riesenchance, mit der Vereinigung zusammen das, was "Deutschland" ist, neu zu definieren.

Wann, wenn nicht zu diesem Zeitpunkt. wäre es möglich und sinnvoll gewesen, die deutsche Nachkriegsdemokratie, die entscheidend auf dem Wechselspiel zwischen Opposition und Regierung und somit auf dem Prinzip größtmöglichen Konsenses aufbaute, ebenso zu reformieren wie die sozialen Sicherungssysteme, die längst weniger als Versicherung denn als eine Art Sparkonto ("ich zahle ein - deshalb darf ich auch wieder entnehmen...") fungieren, auf einen Schlag zu sanieren ??? Und das damals mit einer vermutlich sehr großen Akzeptanz in der gesamten Bevölkerung.

Daß diese Chance vertan wurde, daß der Aufbau Ost de facto auch eine gigantische Subvention West war, daß über Jahre hinweg schlichte Unwahrheiten ("blühende Landschaften") kursierten, daß auf das damals schon höchst fragwürdigen Subventionssystem zurückgegriffen wurde und daß die Harmonisierung der sozialen Systeme dieselben zum Kollaps bringen würde, hätte man wissen können. Hören freilich wollte es niemand.

Und so kam es, wie es in Deutschland immer kommt: Es wurde fleißig verwaltet und wenig regiert und am Ende nicht einmal mehr das, weil schwarze Koffer und der Erhalt der Macht zum einzig beherrschenden Thema wurden.

Der Wähler reagierte richtig und wählte Helmut Kohl ab - das erste Mal in der Geschichte der BRD, daß ein Kanzler per Abwahl aus dem Amt schied. Damals freilich begann auch der unheilvolle Prozeß, daß Wahlen nicht mehr als Mittel zur Gestaltung von Politik verstanden wurden, sondern als Mittel, Ohrfeigen auszuteilen, Ohrfeigen, die möglichst heftig weh tun müssen.

Die neugewählte Regierung allerdings starb in Schönheit und gutem Willen. Wenigen, vor allem symbolischen Gesetzen (Dosenpfand und eingetragene Lebenspartnerschaft) steht eine weiter anwachsende Flut von Regeln ebenso gegenüber wie eine gut gemeinte, aber kurzfristig kaum greifende Sparpolitik. Daß das wichtigste Gesetz der Legislaturperiode, das Zuwanderungsgesetz, im Endeffekt floppte, kann man zwar der Regierung nicht anlasten - aber die Bilanz verbessern tut es auch nicht gerade.

Da aber bis 2001 noch Goldgräberstimmung an den Börsen und am neuen Markt herrschte, und da Firmen der Telekommunikation bereit waren, irre Beträge für UMTS-Lizenzen zu zahlen, sah es einigermaßen gut aus.

Dann aber kam die Rezession mit allen Unannehmlichkeiten. Sie machte noch einmal deutlich, daß auch diese Regierung offensichtlich kein Konzept hat.

Daß die Wahl im September 2002 nicht zu einem Desaster wurde, mag man für Glück halten oder es sogar begrüßen. Fest steht aber auch, daß - einen Wahlsieg Stoibers vorausgesetzt - heute Abend vermutlich absolute Mehrheiten für die SPD in Niedersachsen wie in Hessen herausgekommen werden.

Denn offensichtlich zählt nur noch Eines: Dem Wähler den Bauch pinseln.
Koste es, was es wolle.

Daß sich dann kurz nach der Wahl herausstellen wird, wie ruinös auch die hessische Finanzlage ist, kann man getrost auch in einem weiteren Lügenausschuß klären (wenn man denn diesen Schwachsinn mitmachen will).

Besser aber wäre es gewiß, wenn man endlich mal ehrlich und deutlich sagen würde, daß die Party in Deutschland vorbei ist, und daß wir alle uns darauf einstellen müssen, künftig weniger zu haben. Und das selbst dann, wenn irgendwer den Mut haben sollte, wirklich mal an die Superreichen ranzugehen. Denn irgendwer profitiert immer noch - muß profitieren, da bei steigendem Bruttosozialprodukt und sinkender Einwohnerzahl das Vermögen insgesamt ja steigt und nicht sinkt.

Ich hoffe einfach, daß es möglich ist, dem Wähler die Wahrheit zu sagen und trotzdem gewählt zu werden. Und das möglichst bald.

Sonst mache ich es wie der Winter...
Schweden soll schön sein und hat alle Probleme, die bei uns unlösbar scheinen, in einer Dekade gelöst. Und trotzdem hat das Volk die Sanierer gewählt.

Wenn Herr Schröder daher mal keinen Streit mit der Presse ausficht, sollte er mal Urlaub in Schweden machen. Oder aber den Weg frei für jemanden, der nach Politik fragt und nicht danach, wie er im Fernsehen aussieht.

Heiko Ehrhardt