Der folgende Aufsatz von Heiko Ehrhardt ist für die Veröffentlichung in der Zeitschrift der "evangelsichen Zentrale für Weltanschauungen" (EZW) gedacht. Er paßt daher von der Form nicht ganz zum Konzept der übrigen 100 "Zeilen Hass". Wir sind allerdings der Meinung, dass euch dieser Text nicht vorenthalten werden sollte.



Es kommt nicht gerade oft vor, dass Popstars mit dem Tod derart konfrontiert werden, dass sie sich in ihrer Arbeit damit auseinandersetzen. Zwar gibt es Bereiche der Popkultur, in denen Tod und Vergänglichkeit Dauerthemen sind (vor allem im Bereich Gothic), zwar gibt es weite Bereiche, in denen permanent von Töten und Sterben die Rede ist (und das nicht nur im harten Death bzw. Black Metal sondern auch im Bereich des Gangsta-Raps oder in einem eher unverdächtigen Segment wie der Country & Westernmusik) – immer aber geht es um eine eher theoretische und ästhetische Betrachtung, und kaum um persönlich erlebten Tod und daraus resultierende Betroffenheit.

Und dann, wenn Stars der Populärkultur sterben, dann wird selbst der Tod noch zum event hochstilisiert und mit z.T. bombastischen Trauerfeiern bis ins Überirdische verklärt (besonders anschaulich im Falle von "Queen"-Sänger Freddie Mercury, der sich nach einem altägyptischen Ritual bestatten ließ und dessen Gedächtniskonzert im Londoner Wembley-Stadion ein weltweit übertragenes Ereignis war).

Diesem ästhetisch stilisierten Umgang mit Tod und Sterben, der die Rolle von Popstars als Göttern der Moderne eher bestärkt als in Frage stellt, steht ein recht magerer Umgang mit persönlich erlebtem Tod und mit eigener Trauerarbeit gegenüber.

Spontan fallen mir nur sehr wenige Stücke ein, die persönlich erfahrenen Tod und persönliche Trauerarbeit thematisieren: "Warum ?" von "Tic Tac Toe", ein eher fragwürdiges Stück, das angeblich den Drogentod einer Freundin zum Thema hat, das recht weinerliche "Tears from Heaven" von Eric Clapton, in dem dieser den Tod seines Sohnes beklagt, die ambitionierte und auf CD-Länge gestreckte Auseinandersetzung mit dem Tod von "Velvet Underground"-Mitglied Sterling Morrison, die unter dem Titel "Magic and Loss" von Lou Reed verfaßt wurde, das von Lou Reed und John Cale gemeinsam verfaßte Requiem für Andy Warhol, das unter dem Titel "Songs for Drella" auf CD erschien und dann – brandaktuell – die CD "Mensch" von Herbert Grönemeyer.

Diese freilich ist in mehrfacher Hinsicht beachtenswert: Zum einen ist es das erste Lebenszeichen von Herbert Grönemeyer seit dem Tod seiner Frau und seines Bruders vor nahezu vier Jahren. Zugleich hat diese CD durchgehend gute Kritiken erhalten und als erste CD von Grönemeyer die Spitzenposition der Charts erreicht. Darüber hinaus hat diese CD mehr als viele andere Veröffentlichungen offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen – für die von Flut, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, schwacher Regierungs und Kriegsgefahr gebeutelten Deutschen jedenfalls stellt "Mensch" eine kollektive Ermutigung dar, wie es sie lange nicht gab. Der Titeltrack der CD und auch die zweite ausgekoppelte Single "Der Weg" sind in aller Ohr, in allen Sendern präsent und weit über die sonstige Zielgruppe Grönemeyerscher Biederkeit hinaus bekannt und beliebt.

Und schließlich wurden Grönemeyer auch noch "höhere Weihen" verliehen: Die Synode der EKD beschäftigte sich in einer Morgenandacht mit dem Text des Liedes "Mensch" und zum Auftakt seiner Tournee erhielt Grönemeyer einen sehr persönlich gehaltenen Brief des EKD-Vorsitzenden Manfred Kock als eine Art Reisesegen mit auf den Weg.

Nun ist es gewiß so, dass ein Mensch, der derart tragisch mit dem Tod konfrontiert wurde, wie es bei Grönemeyer geschah, Solidarität, Sympathie und – ganz altmodisch ausgedrückt: Mitleid und Trost verdient hat - und gewiß keine Kritik.

Trotzdem seien einige Bemerkungen erlaubt:
Zunächst deutet sich hier ein hochinteressanter Rollenwechsel an. Ist es zumeist so, dass Popstars als "Götter der Moderne" quasi dem Normalsterblichen entzogene Lichtgestalten sind, so wird Grönemeyer derzeit als gebrochene Figur wahrgenommen, die durchaus Parallelen zum leidenden Gottesknecht der biblischen Tradition gestattet. Ob dies ein neuer Trend ist, der Popstars vor allem als sensible und zutiefst menschliche Wesen zeigt, vermag ich im Moment nicht zu sagen. Fest steht jedenfalls, dass die Identifikation mit einem gebrochenen Menschen leichter zu fallen scheint, als mit einem unnahbar über den Dingen stehenden Star.

Fragwürdig allerdings finde ich, dass die kirchlichen Reaktionen (bis hin zum "Wort zum Sonntag" zumeist diese Gebrochenheit in Verbindung mit dem Mut, weiter zu machen, thematisieren. Gewiß hat Grönemeyer, in dem er wieder auf die Bühne geht, und dort seine Gefühle offenlegt, eine enorme Vorbildfunktion, die vielen Menschen Mut und Hoffnung gibt. Sicher ist es auch vollkommen zu verstehen, dass Grönemeyer nicht misssionieren will, sondern seine persönlichen Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringt. Trotzdem hätte ich von Seiten des EKD-Vorsitzenden (immerhin der ranghöchste evangelische Sprecher in Deutschland) einen deutlichen Hinweis auf die christliche Hoffnung erwartet. Dies wäre m.E. keine billige oder unsensible "Mission" gewesen, sondern die Weitergabe christlichen Trostes und christlicher Hoffnung. Wie es auch bei jeder Beerdigung geschieht. So bleibt der Eindruck, dass in einem tragischen und zutiefst traurigen Geschehen der "Mehrwert" des christlichen Glaubens außen vor blieb. Schade eigentlich !

Heiko Ehrhardt