Jetzt klingen sie wieder, die Glocken. Natürlich süßer denn je. Und natürlich penetrant bis dahinaus.
Daß noch kein Grüner auf den Gedanken gekommen ist, gegen derartige akustische Umweltverschmutzung zu demonstrieren, mutet in der Partei des Dosenpfands seltsam an.
Aber vielleicht steckt in jedem aufrechten Grünen ja ein schräger Kitschfreak ?
Wer weiß....

Wie immer man zu Advent und Weihnachten steht: Fest steht jedenfalls, daß Oliver Kalkofe Recht hat: Wenn man von Kitsch Durchfall bekäme, dann hätte sich das leidige Thema wohl in jedem Fall erledigt, weil dann niemand mehr die Toilette verlassen könnte.
Fest steht auch, daß das ganze Geklingel und Gebimmel, das eia weia und susanni an Tanni, das rosige Kindlein und der rote Glühwein, hektische Betriebsamkeit und nervigste Weihnachtsmärkte eine Allianz eingegangen sind, die an Dantes Inferno gemahnt. Nur hektischer, bunter, lauter und voller süßlich-klebriger Gerüche.

Mit einem Wort von Tom Waits gesagt: "christmas sucks !"

Exakt !

Das erste, was unter die Räder gerät, ist die deutsche Sprache. Die ist geduldig und kann sich nur in Pisa wehren - aber was an Weihnachten geschieht, treibt Tränen in die Augen. "Gottes Sohn, o wie lacht" ??? - Deutsche Sprache, o wie weint...
"Süß klingende Glocken" ? - Sagt mal: Seit wann klingen Glocken süß ? Sie mögen metallisch klingen oder auch ehern, bronzen oder tönern, meinethalben kann man sogar hören, daß sie einen Sprung haben - aber süß ? Wer das glaubt, glaubt auch, daß Lebkuchen nach Bronze schmeckt. Oder Glühwein nach Keramik riecht. Und das ganze eia popeia susanni Gloria in exzessis erspare ich Euch mal gnädig.

Das zweite dann, was unter die Räder gerät, ist der gute Geschmack. Nichts gegen Kerzen, Bäume, Lichterketten und Weihrauch - aber alles in Maßen und vor allem nicht so penetrant süßlich. Da bekommt ja ein Sauerbraten Diabetes. brrrrr - es schüttelt mich.

Das dritte, was unter die Räder gerät, ist Ruhe und Beschaulichkeit. Zwar beklagt jeder den Streß zu Weihnachten - aber die sinnvollen Konsequenzen ziehen, etwa den Austausch von Geschenken von festen Terminen zu entkoppeln, mag auch niemand ziehen. Und wer vom Weihnachtsmarkt an einem Adventssamstag nach Hause kommt - egal von welchem, egal, um wieviel Uhr - der wird nur noch ermattet in den Sessel fallen und sich sagen, daß es in dieser Welt doch noch echte Abenteuer gibt.

Ich freilich falle in den Sessel, lege die Dead Kennedys auf, lasse mir laut "Jesus was a terrorist" um die Ohren blasen und frage mich, was denn mit einem Baby geschehen würde, das im Jahr 2002 real in Bethlehem geboren würde. Und vor allem, was Gott dazu sagen würde.
Und damit bin ich dann beim vierten, das unter die Räder geraten ist, nämlich der Sinn des ganzen Tuns. Der freilich hat was mit Gottes Kommen zu uns zu tun und damit, daß wir das Kommen dieses menschenfreundlichen Gottes mit entsprechendem Verhalten beantworten sollten.

Das allerdings scheint nur noch eine Minderheit zu interessieren...

Heiko Ehrhardt