Neulich abends habe ich einen Fehler gemacht.
Nachdem rein gar nichts im Fernsehen lief, habe ich einfach durchgezappt, bis ich bei einer uralten Sendung des "Musikladen" von ca. 1970 hängenblieb. Natürlich: Das gesamte design inklusive der Garderobe der Moderatoren hat in mir den Wunsch nach sofortiger Erblindung geweckt, und die Anmoderation war einfach nur schlecht und nach heutigen Maßstäben außerdem noch unprofessionell. Doch auf der Bühne standen "Van der Graaf Generator", die man nicht kennen muß, die aber einfach schlagartig deutlich machten, wie mies so ungefähr alles ist, was es heute an Musik in Fernsehen und Radio zu ertragen gibt.
Irgendwie entstand der Eindruck, daß da eine Reihe von hochqualifizierten Musikern auf der Bühne stand, denen es vollkommen egal zu sein schien, ob das, was sie an avantgardistischen Klängen absonderten, auch nur eine einzige Mark Gewinn abwerfen würde.

Offensichtlich gab es einmal eine Zeit, in der Musik nicht nur deshalb gemacht wurde, um damit möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu machen, um zum Star zu werden, und um einen lebensgroßen Starschnitt in der BRAVO zugestanden zu bekommen, sondern mit dem Interesse, echte Kunst zu machen, Visionen zu verwirklichen, und sogar ein Stück weit subversiv und kritisch zu wirken. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich meine ersten LPs gekauft habe: Plattenläden waren damals ähnlich verdächtige Horte von langhaarigen Gesellschaftskritikern wie der heiß umstrittene Schülerraum in unserer Schule, in dem der verfemte kommunistische Oberschülerbund von "Aller Macht dem Schülerrat" träumte.
O Nein ! - so werden einige von Euch denken. Wieder so ein Uraltsozialist/Öko/Friedensbewegungsspäthippie, der die Botschaft verbreitet, daß "früher sowieso alles besser war".

Doch so einfach liegt die Sache nicht.

Es ist durchaus nicht so, daß früher alles besser war. Die Präsentation von Musik, die Produktion von CDs, die Choreographie bei Liveauftritten - alles dies ist heute entschieden professioneller als vor 20 Jahren noch. Die Gefahr, daß eine angesagte Boygroup ein Konzert abbrechen muß, weil der Drummer so schlecht ist, daß er aus dem Rhythmus kommt und sich weigert, weiter zu spielen - diese Gefahr ist heute gebannt.

Aber: Was fehlt, das ist jedwede Begründung für Musik, die über Geldverdienen hinaus geht.

Den Anspruch Kunst zu machen, womöglich Perspektiven und Visionen künstlerisch umsetzen zu wollen, oder einfach nur kritisch und anklagend aufzutreten - Wer hat das heute noch ? Und die, die es haben, werden schon sehen, was sie davon haben: Einen Haufen unbezahlte Rechnungen und mehr nicht !
Nicht einmal der Minimalkonsens früherer Zeiten ("sex & drugs & rock`n´roll) zieht heute mehr.

Rock`n´Roll: Man hört ihn kaum noch. Wobei sich hier meine Betroffenheit in engen Grenzen hält. Den sogenannten "ehrlichen Rock" fand ich immer ziemlich daneben, und ich kann gut ohne z.B. die "Ozark Mountain Daredevils" leben.

Drugs ? - Hmmmm.... Frau Aguilera oder die "No Angels" kommen mir so vor, als ob das Härteste, was sie normalerweise konsumieren, Mineralwasser mit Kohlensäure anstelle von Mineralwasser light ist, und wenn Frau Spears einmal einen Wodka getrunken hat, dann ist das drei Wochen lang Titelthema in einschlägigen Zeitungen. Womit ich nicht Drogenkonsum schön reden will - wohl aber darauf hinweisen will, daß die wahren Süchtigen heute eher im Management als auf der Bühne zu finden sind.

Und Sex ? - Nun ja: Frau Aguilera will ja "dirrty" sein... Allgemein aber habe ich den Eindruck, daß es im Moment reicht, eine irgendwie lange blonde Löwenmähne zu haben (selbst die eigentlich dunkelhaarige Shakira kann sich diesem Trend nicht entziehen und prompt bleichte mit den Haaren auch ihre eigentlich hörbare Musik spürbar aus) und möglichst den Bauchnabel frei zu lassen, und daß das dann bereits als verruchte Erotik gilt. Von den wirklich heftigen Provokationen einer Band wie "Rockbitch" ist das soweit entfernt wie Hans Eichel vom ausgeglichenen Haushalt. Und erotisch ist das auch nicht - jedenfalls nicht erotischer als die vielen, vollkommen austauschbaren models, die mich immer an die Ästhetik von Computerchips erinnern. Und wer geht schon mit seiner CPU ins Bett ?

Es bleibt also allenthalben fest zu halten, daß Neil Young Recht behalten hat: "The king is dead - Rock is done" - zumindest soweit es den kommerziellen Teil des Unternehmens angeht.
Eine Hoffnung freilich bleibt: Kreative Musiker, Leute, die was zu sagen haben, unbequeme Mahner und versponnene Visionäre gibt es nach wie vor. Und mehr, als man denkt.

Sie zu entdecken - darauf käme es an !

Heiko Ehrhardt